Laennaeus, Olle
inzwischen wohnen sie seit zwanzig Jahren in einem Mietshaus in Sundbyberg.
Gunnar ist bei der Sozialversicherung angestellt. Ist dort als Sachbearbeiter beschäftigt,
wie es scheint.»
Ein Verbindungsstück an den Gleisen
erschüttert den Zug. Konrad wirft dem gequält wirkenden Mann auf dem Sitz auf der
anderen Seite des Ganges erneut einen Blick zu. Mittlerweile scheint er einen Versuch
zu unternehmen, ein wenig zu schlafen. Eine Hand, die mit einem Ring am Finger versehen
ist, ruht auf seinem vorgewölbten Bauch. Er hat den Gürtel gelockert und den obersten
Knopf seiner Hose geöffnet.
Obwohl er die Adresse bereits auswendig
weiß, nimmt Konrad seine Brieftasche aus der Innentasche seines Jacketts und schaut
noch einmal auf den Zettel: «Tornstigen 18, Sundbyberg».
Darunter sind in Svens penibler Handschrift
zwei Telefonnummern notiert. Eine Festnetznummer mit der Vorwähl 08 und eine Handynummer.
Konrad hat bereits beschlossen, nicht anzurufen. Es erscheint ihm sinnvoller, ihn
zu überrumpeln. Nur fragt er sich, was er zu Gunnar sagen soll, wenn der die Tür
öffnet.
D er Hauptbahnhof
ist voll mit Reisenden, die ankommen oder vorhaben wegzufahren, jeder Einzelne mit
sich selbst beschäftigt. Konrad hat Bahnhöfe schon immer geliebt. Die Anonymität
und Bewegung, die ständige Veränderung. Von Leuten umgeben zu sein, die einen nicht
kennen, die nicht wissen, wohin man unterwegs ist, und keine Ahnung haben, was einem
gerade durch den Kopf geht. Das Wissen darum, dass keiner etwas von ihm will, er
aber dennoch jeden x-beliebigen Menschen, dem er begegnet, ansprechen könnte.
Menschenmengen hingegen hat Konrad
schon immer verabscheut. Wenn die Grenze zwischen Individuum und Kollektiv verwischt,
wird es gefährlich. Wenn alle in den Aufruhr des Pöbels mit hineingezogen werden.
Oder noch schlimmer: wenn alle einfach in einer gemeinsamen, selbstherrlichen Gleichgültigkeit
versinken.
Er bahnt sich einen Weg durch die Menge
hinunter zur U-Bahn. Während der letzten Stunde im Zug hat er darüber nachgedacht,
welcher Zeitpunkt am geeignetsten wäre, um an Gunnars Tür zu klingeln. Konrad möchte,
dass Gunnar allein ist. Aber woher soll er wissen, wann seine Frau nicht zu Hause
ist? Also kann er ebenso gut sofort nach Sundbyberg hinausfahren. Es ist Samstag,
und wenn er Glück hat, macht Lisbet gerade einen Shoppingbummel in der Stadt.
Es dauert weniger als eine Viertelstunde,
bis der Zug ankommt, doch auf dem Weg ist ihm eine Menge des Optimismus, den Sven
ihm hat einflößen können, abhandengekommen. Was erhofft er sich eigentlich zu erfahren?
Es ist ja letztlich nur ein dünner
Strohhalm, an den er sich klammert. Alles, was er hat, sind Lehes Worte. Ein bekehrter,
völlig verrückter Mörder, der meint, gehört zu haben, dass Benga, ein versoffener
alter Knastbruder, vor fast vierzig Jahren einige Andeutungen über Agnes' Schicksal
gemacht hat. Wie lauteten seine Worte noch, die er ein paar Tage, bevor er sich
in seiner Zelle erhängt hat, gesagt haben soll?
«Ich weiß, wo diese Polin ist. Ich
muss jeden Tag an sie denken. Sie verfolgt mich.»
Der Zweifel nagt an Konrad. Er schüttelt
innerlich den Kopf. Das hier ist doch krank, denkt er. Eigentlich wäre es besser,
mit all seinen Nachforschungen aufzuhören und das Ganze hinter sich zu lassen.
Obwohl er eigentlich weiß, dass er
sich weiter durch die schwarze Erde hindurchgraben muss. Wenn es sein muss, bis
hin zum Urgestein.
V on der U-Bahn-Station
aus sind es nur wenige Straßenzüge zu laufen. Konrad fragt eine Frau nach dem Weg,
die auf den Bus wartet. Sie spricht mit starkem Akzent, der russisch klingt. Bald
darauf steht er vor dem dunkelroten Ziegelhaus. Zwei Stockwerke ohne Balkone. Die
Fenster sind klein, und das Haus wirkt düster. Irgendwie unbewohnt. Eine flüchtige
Bewegung einer Gardine im obersten Stock vermittelt ihm allerdings das Gefühl, beobachtet
zu werden.
In dem Moment, als Konrad die Hand
auf den Knauf der Haustür legt, wird sie geöffnet. Eine gebeugte, kleine alte Frau
bugsiert ihren Rollator nach draußen. Sie trägt ein Kopftuch und hat einen Unterbiss,
der sie wie eine Bulldogge aussehen lässt. Die Frau glotzt ihn mit griesgrämiger
Miene an, als er ihr die Tür aufhält. Schnaubt irgendetwas vor sich hin, bevor sie
auf dem asphaltierten Gehweg um die Ecke verschwindet.
Gunnar und Lisbet Nilhem steht an der
Haustür. Sie scheinen im zweiten Stock zu wohnen.
Bevor Konrad klingelt, hält er inne,
damit sich sein
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