Laennaeus, Olle
Leuten besteht, haben sich kleine Grüppchen Neugieriger
gebildet. Konrad lässt seinen Blick über die Menschen schweifen und versucht sie
einzuordnen. Sie in ein Muster zu fügen. Deswegen ist er ja eigentlich hier. Um
eine Art Struktur auszumachen. Aber es gelingt ihm nicht. In einem Gesicht meint
er, einen Zug zu erkennen, der ihn an etwas erinnert. Ein Zwinkern. Eine Art, den
Kopf zu neigen. Ein nervöses Blinzeln. Doch dann ist es plötzlich weg, und die Menschenmenge
wirkt wieder so anonym wie zuvor.
Die Einwohner dieses Ortes, er kennt
sie nicht mehr. Dies ist nicht mehr seine Heimat. Vielleicht ist sie es auch nie
gewesen.
Ein Fernsehteam von Sydnytt sowie eine
ganze Menge anderer angereister Journalisten sind vor Ort. Konrad kennt keinen von
ihnen. Örjan Palander hat sich einen gestreiften Klappstuhl neben dem Brunnen aufgestellt,
als erwarte er eine längere Vorstellung. Er hat einen Notizblock auf dem Schoß liegen
und blinzelt erwartungsvoll in Richtung des Polizeiaufgebots, das aus Ystad hochgekommen
ist. Vor der Würstchenbude hängt eine Gruppe Jungs beziehungsweise junger Männer
herum, die sich deutlich von den anderen abheben. Ihr Blick strahlt etwas Befremdliches
aus. Eine Aggressivität, auch wenn sie sich gleichgültig geben. Möglicherweise aber
auch Angst. Sie rauchen und werfen der verlorenen Schar neben dem Kleinlaster verächtliche
Blicke zu.
«Tore Torstensson ist ein Held!», ruft
der Mann durchs Mikrophon.
Seine Stimme ist voller Trotz. Man
kann schon von weitem erkennen, dass seine Wangen glühen. Er lässt die Worte wirken.
Auf dem Platz herrscht absolute Stille.
Plötzlich spürt Konrad, dass ihn jemand
anstarrt. Seine Wangen beginnen zu glühen. Er sucht nach dem namenlosen Blick. Schließlich
sieht er ihn, Klas. Er steht alleine, gleich neben den Teilnehmern der Kundgebung,
aber dennoch ein paar Meter entfernt, als könne er sich nicht entscheiden, ob er
dazugehören will. Er trägt Clogs und einen sackartigen Pullover, auf dem «Skäne-Molkereien»
steht.
Für einen kurzen Moment begegnen sich
ihre Blicke. Klas stiert ausdruckslos und mit leerem Blick vor sich hin, als suche
sein Gehirn an einem völlig anderen Ort. Weit, weit weg. Doch dann scheint es, als
käme er plötzlich zur Besinnung. Er nickt nahezu unmerklich und dreht dann schnell
den Kopf weg, in Richtung des Redners.
«Tore Torstensson ist ein Held, weil
er das getan hat, was die Pflicht eines jeden ehrenhaften Schweden ist.»
Die Stimme des Mannes auf dem Kleinlaster
ist kurz davor, sich zu überschlagen. Woraufhin er es eine Oktave tiefer versucht.
«Tore hat sein Haus gegen Einbrecher
verteidigt. Und dafür ist er ins Gefängnis geworfen worden. Das ist nichts Geringeres
als Justizmord, was da passiert, und es ist unsere Pflicht, als Schweden dagegen
zu protestieren.»
Der Redner reckt eine Hand in den Abendhimmel,
nimmt sie aber mit einem unruhigen Blick auf die Fotografen schnell wieder herunter.
Seine kleine treue Schar applaudiert. Konrad sieht, wie Klas die Hände tief in
den Hosentaschen vergräbt und seine breiten Schultern wie ein Stier aufbläst.
Plötzlich ertönt eine andere Stimme.
«Scheißmörder!»
Der Ausruf des Jünglings an der Würstchenbude
lässt alle zusammenfahren. Er hat zwei Schritte auf den Kleinlaster zu gemacht und
reckt einen ausgestreckten Mittelfinger in die Höhe. Seine Augen blitzen. Der Mund
ist zu einem schmalen Strich geformt. Seine Freunde treten unruhig auf der Stelle,
als wüssten sie nicht so recht, was sie tun sollen. Konrad sieht, dass auch ein
paar Mädels unter ihnen sind.
«Scheißmörder!»
Dieses Mal stimmen einige der anderen
wie ein Echo in den Ruf ein.
Die Anwesenden tauschen unruhige Blicke
aus, allerdings nicht die Skinheads, die sich langsam in Richtung der Gang an der
Würstchenbude bewegen. Der wütende junge Mann steht reglos wie eine Statue da, den
Stinkefinger in die Luft gereckt.
Möglicherweise sind die beiden verworrenen
Worte die einzigen, die er auf Schwedisch kann, doch die Botschaft seines Ausrufs
ist glasklar. Der Redner auf der Ladefläche ist verstummt, sein Blick flackert unruhig,
und die Neugierigen sind ein wenig zurückgewichen. Die Kameras der Fotografen klicken.
Für einen Augenblick ist es, als stünde
alles still oder hinge in der Schwebe, als würde die Zündschnur bereits brennen
und sich der Funke unaufhaltsam in Richtung Sprengladung bewegen.
Die Skinheads grinsen amüsiert. Angespannte
Gesichtszüge und geballte
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