Laennaeus, Olle
seinen
Schreibtisch geknallt und gekündigt. Und dann bin ich, so weit es nur ging, vor
der Kälte und der Dunkelheit geflohen. Und landete hier. Hab Unterstützung vom
Staat bekommen und alles. Und wissen Sie, als ich die Pizzeria dann Bella Napoli
genannt hab, dachten alle, ich sei Italiener. Das fanden sie okay. EU-Bürger und
so weiter. Aber irgendwann sind sie draufgekommen.»
Konrad schaut ihn verständnislos an.
«Worauf sind sie gekommen?»
«Dass es keine Italiener gibt, die
Göksin heißen.»
«Nein, das ist ja klar ...»
«Eines Tages muss irgendein kluger
Kopf draufgekommen sein. Der Norrländer ist eigentlich Türke, 'n richtiger Kanake.
Und dann haben sie angefangen, mir Steine ins Fenster zu schmeißen.»
Er wirft den Kopf nach hinten, reißt
den Mund weit auf, macht eine schnelle Drehbewegung mit der Hand, die die Bierflasche
hält, und lässt den Inhalt in einem einzigen Wirbel in seiner Kehle verschwinden.
Es gluckert, wie wenn der letzte Rest Badewasser in den Abfluss fließt. Dann knallt
er die Flasche auf den Tisch, sodass der restliche Schaum hochspritzt.
«Vier Komma acht Sekunden! Ist mein
Rekord. Hat beim Bierwettbewerb in der Grubengewerkschaft zu Silber gereicht.»
Konrad ist beeindruckt. Er nippt an
seinem Efes und kommt sich ein wenig wie ein Weichei vor. «Und was sind das für
Leute?»
«Die, die Steine werfen? Keine Ahnung.
Nicht, dass es keine netten Leute hier gäbe, das will ich nicht sagen. Aber die
feigen Schweine, die das gemacht haben, würd ich nur zu gern zu fassen kriegen.»
«Vielleicht sind es ja nur Dummejungenstreiche?»
Göksin schaut ihn skeptisch an.
«Viermal hintereinander?»
Er steht auf, nimmt seinen Holzschieber
und holt Konrads Margherita aus dem Steinofen. Die Pizza dampft. Duftet richtig
lecker. Konrad merkt plötzlich, dass er seit dem Morgen nichts mehr gegessen hat.
Den Nachmittag hat er in einem traumlosen Schlummer im Hotelbett verschlafen.
Er schiebt sich einen Bissen in den
Mund und verbrennt sich prompt den Gaumen am heißen, klebrigen Käse. Stürzt sich
aufs Bier.
«Verdammt!»
Für einen Augenblick zerfließt Göksin
in einem Tränenschleier. Konrad blinzelt und reibt sich mit dem Daumen die Tränen
aus den Augen. Als er wieder etwas erkennen kann, sieht er den Türken spöttisch
grinsen. Er schnieft und schneidet vorsichtig ein weiteres Stück Pizza ab.
Nach einer Weile versucht Konrad erneut
einen Blick an der Yuccapalme vorbei durch das gesprungene Fenster auf den Marktplatz
zu erhaschen. Vor dem Systembolag scheint sich so langsam etwas zu tun. Göksin räumt
den Teller vom Nachbartisch ab und wischt die Krümel von der Tischdecke. Brummelt
etwas vor sich hin. Konrad schweigt und isst zügig zu Ende.
«Vielleicht gehören sie ja zu denen
dahinten», sagt er dann.
«Wer denn?»
«Die, die keine Türken mögen.»
Konrad legt einen Hunderter auf den
Tisch und macht sich bereit, das Lokal zu verlassen. «Oder meinetwegen auch Albaner.»
G enau in dem
Moment, als er auf den Bürgersteig tritt, beginnt die Nationalhymne über den Marktplatz
zu dröhnen.
Du gamla, dufria, dußällhöga nord ... scheppern die Stimmen eines Männerchors aus zwei Lautsprechern auf der
Ladefläche eines Kleinlasters.
Sie haben eine blau-gelbe Fahne dabei.
Vor dem Laster steht eine Gruppe von
Männern und Frauen steif und mit ernsten Gesichtern da, als wären sie auf einer
Beerdigung. Jemand salutiert halbherzig in militärischer Haltung. Ein anderer blickt
sich unruhig um. Einige singen die Hymne mit, aber die meisten bewegen einfach aufs
Geratewohl ihre Lippen, als suchten sie nach Worten. Mitten unter ihnen steht eine
Handvoll junger Leute in völlig anderer Aufmachung. Ihre Schädel sind kahlrasiert,
martialische Tätowierungen zieren ihre Nacken und Schultern. Sie sehen streitlustig
aus.
Dann verstummt die Musik. Ein junger
Mann mit blondem Schopf und rotgefleckten Wangen übergibt seine Fahne an den Nachbarn
und steigt auf die Ladefläche. Er trägt Cordhosen mit akkurater Bügelfalte und trotz
der Hitze einen gelben Wollpullover über der Krawatte.
Er ergreift das Mikrophon.
«Dasiiiiiiüüüüüüü ...», pfeift es aus
den Lautsprechern, sodass alle zurückweichen.
Der zweite Versuch klappt besser: «Das
schwedische Rechtswesen hat vor der Kriminalität der Ausländer kapituliert», erklärt
der Redner einleitend und schaut dabei mit ernster Miene über den Marktplatz.
Außer den Teilnehmern der Kundgebung,
die aus ungefähr vierzig
Weitere Kostenlose Bücher