Laennaeus, Olle
irritiert.
Es gelingt ihm nicht, sich gegen das
Geräusch zu wehren. Ahmeds Stöhnen. Fast jeden Abend hört er es.
«Er ist doch mit einem süßen Mädel
verheiratet. Er müsste sich nur bis zum nächsten Wiedersehen enthalten», sagt er
zu sich selbst und verspürt einen Anflug von Neid, den er eigentlich nicht spüren
will. Absolut nicht. Seine erleuchtete Seele, das Dunkle darf das Licht nicht verdrängen.
Aber er wollte sich ja auf den Brief
konzentrieren. So schwer wie heute fällt ihm der Anfang sonst nie.
Er denkt oft an sie, beinahe jeden
Tag. Mit einem guten Gefühl, aber es ist auch schmerzhaft. So viel hat sie leiden
müssen. Damals war es ihm nicht in den Sinn gekommen, Mitleid mit ihr zu haben,
doch heute ist es anders.
Auf der anderen Seite der Wand, es
kann nicht mehr als einen Meter entfernt sein, wird das Stöhnen und Keuchen immer
lauter. Geradezu qualvoll. Schließlich hört er einen kurzen unterdrückten Schrei.
So armselig. Dann wird es vollkommen still.
Also dann, denkt er. Möge er nun wenigstens
einschlafen, sodass man seine Ruhe hat.
Er greift wieder zum Stift, den er
aufs Laken gelegt hat, und schreibt ganz oben auf das Papier: Liebe Schwester!
Aber die Gedanken beginnen erneut abzuschweifen.
Es irritiert ihn furchtbar. Eigentlich müsste es hier doch nicht viel geben, was
ihn ablenken könnte. Aber vielleicht ist gerade das der Punkt, dass es so wenig
gibt. Denn jedes Ding schreit förmlich nach Aufmerksamkeit. Die Bücher. Der Kamm,
der Rasierhobel und die Dose mit Rasierschaum auf dem Regal. Seine Kleidung, die
fein säuberlich auf dem Stuhl zusammengelegt ist. Das Kruzifix an der Wand, wo
die Pin-ups gehangen hatten, die er irgendwann heruntergerissen hat. Die Bibel,
immer auf dem kleinen Tisch neben dem Bett. Und das Mondlicht, nicht zuletzt das
Mondlicht, das durch das Gitterfenster strömt und einen Schatten in Form eines Kreuzes
an der Wand hinterlässt.
Letzteres ist ein gutes Zeichen.
Weit entfernt hört er jemanden seine
Angst herausschreien; er klingt wie ein verletztes Wild, und es ist, als pflanzte
sich seine Stimme entlang der Mauern fort und brächte jeden einzelnen Stein zum
Vibrieren. Er hört Schritte auf dem Korridor. Dann erkennt er flüchtig ein Auge
in dem kleinen Guckloch in der Tür.
«Hier hat keiner geschrien. Vielleicht
war es oben auf der Zweiten», hört er jemanden sagen. Dann verklingen die Schritte.
Die Aufseher. Früher hat er sie gehasst
und hätte jeden von ihnen, ohne mit der Wimper zu zucken, erschlagen können, wenn
er nur die Möglichkeit dazu gehabt hätte. Wenn man einmal getötet hat, kann man
es jederzeit wieder tun.
Wenn man nicht religiös wird.
Jetzt empfindet er hauptsächlich Mitleid
mit ihnen. Wir sind ja alle Schafe auf der Weide unseres Herrn.
Also. Der Brief. Er sieht erneut auf
die beiden Wörter hinunter: Liebe Schwester.
Vielleicht ist es einfacher, wenn er
so beginnt wie sonst auch. Weniger dramatisch.
Dieses ist der siebenundvierzigste
Brief, den ich dir schicke, nachdem ich das Licht erblickt habe.
Er horcht kurz auf, murmelt dann etwas
vor sich hin und beginnt weiterzuschreiben.
Deinem letzten Brief habe ich entnommen,
dass es nicht leicht für dich gewesen ist, nach Tomelilla zurückzukehren. Ich fühle
wirklich mit dir. Dort ist viel Unheil geschehen. Und zu einem Teil habe auch ich
dazu beigetragen.
Er ruht die Hand einen Augenblick lang
aus und versucht, sie vor sich zu sehen. Sie, an die der Brief gerichtet ist.
Ein kleines zartes Mädchen mit unruhigem
Blick. Warum hat er ihr damals nie geholfen?
Aber ich habe sie immerhin nie geschlagen,
versucht er sich in Gedanken zu rechtfertigen. Nicht einmal, als mein hitziges Temperament
regelrecht mit mir durchgegangen ist.
Dann bereut er seine Ausflucht und
verdammt seine eigene Erbärmlichkeit.
Sie musste so viel auf ihren schmalen
Schultern tragen. Viel zu viel. In ihrem roten Haar trug sie große hellblaue Schleifen.
Sie saßen immer ein bisschen schief. Wer hätte sie auch gerade rücken sollen?
Aber das Bild ist nun veraltet. Inzwischen
hat sie ihm ein neues geschickt. Er hatte extra darum gebeten und schaut es sich
immer wieder gerne an. Eine reife Frau, sehr hübsch. Ihre grünen Augen strahlen
jetzt eine Kraft aus, für die er dankbar ist.
Aus dem Inneren des Gebäudes ertönt
ein weiterer Schrei und unterbricht seine Gedankengänge. Dieses Mal kann er ein
paar Worte verstehen. Jemand möchte sterben. Er versucht herauszuhören, wer da
geschrien hat,
Weitere Kostenlose Bücher