Laennaeus, Olle
aber es gelingt ihm nicht.
Können sie ihm denn nicht ein bisschen
Valium geben? Olsson hörte sich in den Nächten, bevor er starb, genauso an. Bevor
er sich in seiner Zelle erhängte. Es war furchtbar traurig.
Und ich dachte, dass man seine Seele
hätte retten können. Er war ja so nahe dran. Zumindest schien es so.
Er sieht den anderen jetzt vor sich.
Graue Augen, wässrig wie Quallen. Dünne graue Haarsträhnen über den vorgewölbten
Adern an den Schläfen.
Warum saß er eigentlich ein? Das hatten
alle wahrscheinlich längst vergessen. Bestimmt war es bereits seine zwanzigste
Runde. Drogen oder ein Einbruch, was spielt es auch für eine Rolle?
Aber er war so nahe dran, das war ja
das Ärgerliche. Die Gefängnispastorin, dieses junge Ding, hat mit ihm gesprochen,
aber was hat es gebracht? Nichts. Sie war allzu vage in ihrer Botschaft. Viel zu
relativ. Als wäre es möglich, seinen Glauben nach eigenem Gutdünken auszurichten.
Er schüttelt in seiner Einsamkeit verärgert
den Kopf. Entweder glaubt man aus vollem Herzen oder gar nicht, denkt er. Man muss
sich bedingungslos hingeben, das ist der einzige Weg zur Erlösung.
Olsson war nahe dran, davon war er
überzeugt. Wenn er es nur geschafft hätte, ein wenig länger zu leben.
Es ist spät geworden. Der Abend wird
zur Nacht. Er spürt ein Zucken in den Augenlidern. Die Müdigkeit kommt ihm inzwischen
wie ein Geschenk vor. Man arbeitet hart in der Werkstatt, trainiert seinen Körper
im Fitnessstudio und seinen Geist beim Studieren, sodass einen die Müdigkeit abends
wie eine Belohnung übermannt.
Aber auf dem Blatt Papier in seinem
Schoß stehen erst einige wenige Zeilen. Der spärliche Lichtschein der Nachttischlampe
färbt es gelb.
Olsson wollte etwas loswerden, ohne
Zweifel. Er wollte sein Gewissen erleichtern.
Aus diesem Grund schreibe ich diesen
Brief, denkt er.
KAPITEL 21
Als er Sven Auge in Auge gegenübersteht,
weiß Konrad plötzlich nicht mehr, wovor er Angst hatte.
Svens sommersprossiges Grinsen ist
noch genauso entwaffnend wie vor dreißig Jahren. Die roten Locken sind verschwunden,
sein Kopf ist inzwischen von kurzem, bronze-farbenem Haar bedeckt. Sein Gesicht,
damals kindlich rund, ist eckiger geworden, und sein Kinn ist bedeckt mit einem
gepflegten Bart. Aber hinter den Brillengläsern leuchtet immer noch derselbe Blick:
lebhafte Knopfaugen, die aufmerksam und neugierig alles um sich herum betrachten.
Was hatte er erwartet?
Einen abgewrackten Typ, der sein Leben
darauf verschwendet hat, sich angesichts aller Erniedrigungen zu grämen? Einen
ausgestoßenen Sonderling, niedergeschlagen und resigniert? Vielleicht eher einen
einsamen Schatten, der im Regen verschwindet.
Doch Sven strahlt nichts dergleichen
aus, als er in der Türöffnung steht. Sein Händedruck ist voller Energie.
«Mensch, Konrad! Wie schön, dich zu
sehen!»
«Sven!»
Das ist das Einzige, was er herausbringt.
Für den Bruchteil einer Sekunde scheint
es, als wollten sie sich umarmen, doch dann lassen sie es bleiben. Oder warten zumindest.
Konrad reicht Sven die Flasche Hallands fläder, die er noch schnell im Systembolag
gekauft hat.
«Zum Matjes», sagt er etwas unschlüssig.
Doch Sven hat die Aufmerksamkeit bereits
auf Gertrud gerichtet, die unmittelbar hinter ihm wartet.
«Kleine Schwester, hübscher denn je!»,
ruft er und schließt sie in die Arme.
Konrad blickt sich im Flur um. Er ist
kaum wiederzuerkennen.
Schon als sie sich dem Myrberg'schen
Haus näherten, hat er gemerkt, dass sich einiges verändert hat. Die Fassade, die
immer fleckig und unansehnlich war, erstrahlt jetzt frisch verputzt im Sonnenlicht.
Der Garten, der ihnen damals wie ein Dschungel vorkam, sieht gepflegt aus.
Im Flur ist die schmutzig braune, abgewetzte
Tapete verschwunden. Jetzt laufen rote und blaue Wellenlinien über kreideweiße
Wände. Dort, wo die alte Kommode stand, steht jetzt ein Ohrensessel, und darüber
hängt ein großer Spiegel in einem Stahlrahmen. Der Holzboden ist abgeschliffen
und hell. Der säuerliche Geruch nach verschwitzten Strümpfen und tausend Paar ausgelatschten
Schuhen ist wie weggeblasen, und aus der Küche riecht es nicht mehr nach altem Fett
und verdorbenen Essensresten. Alles scheint frisch renoviert zu sein.
Sven folgt seinem Blick und macht nicht
den geringsten Versuch, seinen Stolz zu verbergen.
«Das ist alles Lenas Verdienst. Sie
ist Künstlerin. Und ein Genie in Sachen Inneneinrichtung.»
«Zwei Genies unter einem Dach», entfährt
es
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