Laennaeus, Olle
du bist schließlich erwachsen! Reiß dich zusammen.
Er zwingt sich, einen Impuls zu unterdrücken,
ihre Wohnung zu durchsuchen. Nach was auch?
Spuren?
Ich habe kein Recht, in ihr Leben einzudringen,
denkt Konrad.
Er wirft einen letzten Blick ins Schlafzimmer
und zieht dann die Wohnungstür hinter sich zu.
A ls er sich
umdreht, stellt er fest, dass Gudrun Vernersson auf der Treppe steht, direkt unterhalb
des Absatzes. Sie hält mitten in der Bewegung inne und starrt ihn erstaunt an.
Gudan ist groß gewachsen, aber knochendürr.
Auf dem Kopf trägt sie einen weißen Strohhut in der Art, von der Konrad angenommen
hat, dass ältere Damen schon vor dreißig Jahren aufgehört hätten, sie zu tragen.
Er lässt sie aussehen wie eine Darstellerin in einem alten schwedischen Spielfilm.
Gräuliche Blutgefäße wölben sich auf ihren Handrücken, die eine Hand ist auf einen
Stock gestützt, und in der anderen baumelt eine Tüte vom Bäcker.
«Hej», sagt Konrad und versucht, sich
ungezwungen zu geben.
Er hat seine Vermieterin bisher nur
einmal getroffen, und das recht flüchtig. Es war, als Gertrud ihn ihr gestern vorgestellt
und er den Schlüssel bekommen hat, sodass er seine Sachen im Zimmer abstellen konnte.
«Guten Morgen», erwidert sie mürrisch
und verzieht dabei den Mund.
Gudans Wohnung liegt im zweiten Stock
mit dem Eingang nach rechts, während Konrads eigene Tür nach links abgeht. Was
zur Folge hat, dass er für zwei Stockwerke ihre Begleitung in Kauf nehmen muss,
wenn er nach oben in sein Zimmer möchte.
Er zögert.
«Haben Sie sich in der Wohnung geirrt?»,
fragt sie mit einem Blick, der offenbart, dass sie nicht einen Augenblick lang geglaubt
hat, dass dem so ist.
Dann drängt sie sich an ihm vorbei
und nimmt die nächsten Stufen in Angriff. Ihr grauer Mantel ist so lang, dass er
fast über den Boden schleift.
«Ah, nein ... wir sind nur Freunde»,
stammelt Konrad, ohne selber zu verstehen, was er damit meint.
Er hört ein Schnauben von weiter oben
im Treppenhaus.
«Freunde! Blödsinn! Aber was geht das
ein altes Weib wie mich schon an.»
Konrad nimmt die Treppen nach unten
in Richtung Haustür.
P alander steht
vor der Eingangstür zur Redaktion und wartet in Shorts, Unterhemd und seiner alten
Anglerweste. Er wirkt ungeduldig.
«Verdammt, ich bin etwas rastlos. Wir
können uns doch ein wenig bewegen, während ich erzähle, oder?»
«Natürlich.»
Von der Bank vor dem Systembolag auf
der anderen Straßenseite erregt ein lautes Murren kurzfristig ihre Aufmerksamkeit.
Derselbe Säufer, der sich letztens vollgepisst hat, liegt jetzt wie ein Häufchen
Elend zusammengerollt da. Er brummt im Schlaf und flucht, als wäre er stocksauer.
Vielleicht verdammt er die Sonne, die schonungslos auf die Bank brennt. Aus irgendeinem
Grund muss Konrad an Gertruds Eltern denken. Sixten und Elsa. Sie mussten ihren
Rausch immerhin nicht auf der Straße ausschlafen.
Sie spazieren eine Weile schweigend.
Konrads Gedanken schweifen ab. Die krampfhafte Unruhe über Gertruds plötzliches
Verschwinden will sich nicht legen, obwohl er einsieht, dass sie übertrieben ist.
Palanders schlechte Nachricht müsste mir eigentlich mehr zu denken geben, überlegt
er.
«Nun, rücken Sie denn jetzt mal damit
raus?»
Palander steckt mit einer dramatischen
Geste die Hand in eine der vielen Taschen seiner Anglerweste und zieht einen Zettel
heraus.
«Was sagt Ihnen das hier?»
Konrad bleibt stehen und nimmt ihn
entgegen. Es ist eine kurze Mitteilung. Die Worte sind mit schwarzem Filzstift geschrieben,
unregelmäßig und in kindlichem Stil:
Feriz und Sali haben die reichen Schweden
nicht erschossen. Sie haben die Pistole gekauft, nachdem sie gestorben sind. Von
einem, der sie kennt.
Er liest die Zeilen dreimal, ehe er
Palanders forschendem Blick begegnet. Der ihn nicht gerade entspannen lässt.
«Was soll das bedeuten, ein Witz?»
«You tell me.»
«Wollen Sie mir auch sagen, woher Sie
den haben ...?»
«Er lag im Briefkasten der Redaktion.
Ich bin heute Morgen früh aufgewacht. Das passiert immer, wenn ich was getrunken
habe. Es kribbelt sozusagen am ganzen Körper. Und es fällt mir schwer, still zu
sitzen. Also habe ich einen Spaziergang am Büro vorbeigemacht. Da lag der Zettel
im Briefkasten.»
Sie haben eine Bank erreicht. Konrad
lässt sich schwer niedersinken. Palander folgt seinem Beispiel, und beide starren
hilflos auf den Zettel.
Die reichen Schweden. Konrad hat
Schwierigkeiten, sich Herman und Signe als
Weitere Kostenlose Bücher