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Laennaeus, Olle

Laennaeus, Olle

Titel: Laennaeus, Olle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das fremde Kind
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niederzulassen, taumelt mitten in der Sonne umher, benommen von
der Hitze. Doch über dem kleinen Spielplatz werfen die ausladenden Kronen von Ulmen
und Kastanien einen kompakten und geheimnisvollen Schatten, es ist beinahe wie
in einer Grotte. Fatimas Rückzugsort. Es ist fast nie jemand dort. Nur sie und ihre
Gedanken, wenn sie vor dem Geschrei und den Streitereien zu Hause geflohen ist.
    Heute aber fällt es ihr schwer, zur
Ruhe zu kommen.
    Sie hat ja nicht mal zugehört. «Rufen
Sie am Montag wieder an.» Bullenfotze!
    Fatima ist ebenso sauer auf sich selbst.
Die Frau in der Zentrale hat sie völlig aus der Fassung gebracht. War schnoddrig
und mies gelaunt. Hat ihr das Gefühl gegeben, wie ein absolutes Dummchen daherzukommen.
    Fatima hasst es, wenn die Leute sie
wie ein dummes Ding behandeln. Sie weiß nämlich, dass sie smart ist. Die Vertretung,
die sie im Frühjahr in Gemeinschaftskunde hatten, hat auf sie eingeredet und gemeint,
sie solle weiter zur Schule gehen und lernen, damit aus ihr etwas Anständiges würde.
Aber die Leute hören ja schon an ihrer Stimme, dass sie Ausländerin ist, auch wenn
sie bereits mehr als ihr halbes Leben in diesem Land verbracht hat. Wie zum Beispiel
diese Polizeifotze am Telefon.
    Aber es sind nicht nur die Schweden.
Papa und Mama verhalten sich genauso. Glauben, dass sie keine Ahnung hat, obwohl
sie schon fast sechzehn ist. Und Feriz hat, bevor er starb, immer so spöttisch gegrinst
und sie «meine kleine Prinzessin» genannt, als wäre er ein verdammter Mafiaboss.
    Ihr bleibt fast die Luft weg, wenn
sie an ihn denkt.
    Er war schon immer rastlos. Hager,
mit einem gefährlichen Blick. Hat coole Klamotten getragen, wo auch immer er das
Geld dafür hernahm. Ihre Freundinnen wurden jedes Mal rot, wenn er mit ihnen schäkerte.
Fatima tat dann so, als schäme sie sich, aber in Wirklichkeit war sie stolz auf
ihn.
    Feriz, der Herzensbrecher.
    Feriz, der Gangster.
    Ihr Bruder.
    Die Jungs in ihrer Klasse kapierten
irgendwann, dass mit ihm nicht zu spaßen war. Grinsende Idioten. Hatten sie Hure
genannt und glaubten, sie könnten mit ihr machen, was sie wollten. Einmal hatten
David und Markus sie in der Schule in die Toilette gedrängt und sie festgehalten
und begrabscht und ... Aber als sie dann schrie und um sich schlug, haben sie es
wohl doch mit der Angst zu tun bekommen. Haben die Tür wieder aufgeschlossen und
später geprahlt, dass die «Albanerfotze endlich mal 'n richtigen schwedischen Schwanz
zu spüren bekommen hat». Obwohl sie es gar nicht geschafft hatten.
    Wie hat sie es genossen, als Feriz
die Typen danach fertiggemacht hat. Sie saß auf der Rückbank in seinem Wagen und
zeigte auf sie. Die Idioten hingen vor Bertils Würstchenbude herum, als er seitlich
heranfuhr, ausstieg und sie einfach niederschlug. Peng, bumm, zwei gebrochene Nasen,
und es sah so lustig aus, wie sie da mit der Visage voller Blut auf dem Boden saßen.
    Sie wirft die Zigarettenkippe in den
Sandkasten, ergreift die Eisenketten der Schaukel und holt Schwung, so wie sie es
als Kind getan hat. Wirft den Rücken nach hinten und die Beine so weit sie kann
nach vorne, um sich so kraftvoll wie möglich abzustoßen. Immer höher schaukelt sie,
bis die Ketten quietschend am Eisengestell hin- und herreiben und sie spürt, wie
sie ihr in die Finger schneiden. Als sich die Schaukel oberhalb des Eisenbalkens
befindet, an dem die Ketten befestigt sind, beginnt das gesamte Gestell zu schwanken.
Der Fahrtwind weht ihr angenehm ins Gesicht, und sie denkt, wenn sie genau im richtigen
Augenblick loslassen würde, könnte sie ganz weit wegfliegen. Über die Büsche hinweg,
dann über die Ulmen hinauf in den knallblauen Himmel und weit, weit weg von diesem
öden Kaff. Sie würde spüren, wie ihr die Sonne ins Gesicht scheint und der Wind
mit ihrem Haar spielt, wenn sie dahinfliegt, frei wie ein Vogel, über das Meer an
einen Ort, an dem sie ... ja, was eigentlich?
    Das ist ja genau das Problem. Fatima
hat nämlich keine Ahnung, was sie mit ihrem Leben anfangen will.
    Sie lockert den Griff um die Eisenketten
und lässt die Schaukel langsam ausschwingen. Spürt, wie die Pendelbewegungen immer
kleiner werden, bis sie schließlich wieder still dasitzt und auf ihre eigenen Füße
starrt.
    Ich muss mit jemand anderem reden,
denkt sie. Jemand, der mir zuhört.
    Dann fasst sie endlich einen Entschluss.
Sie steht mit einem Ruck auf und reißt ihre Tasche an sich, die im Sand liegen geblieben
ist, als sie sich auf die Schaukel

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