Laessliche Todsuenden
Nicht weggeräumte Gartensessel sind undenkbar. Selbst Leo hat sich angewöhnt, vor der Abfahrt noch einmal eine Runde durch Haus und Garten zu drehen.
Also regt sie sich erst einmal nicht auf und hopst auf Zehenspitzen hinter Alina her, denn der Kies sticht in die Fußsohlen. Dann bleibt sie stehen. Die beiden Sessel aus geschmiedetem Eisen und garantiert nachwachsenden Edelhölzern, Stil englisches Landhaus, stehen einander gegenüber, genau in der Mitte der Wiese, nicht auf den Steinplatten nahe der Hauswand, wo Leo, Ilka und die Kinder sonst sitzen und essen. Sie stehen einander im Abstand von zwei Metern gegenüber, als warteten sie auf zwei Staatschefs, Gipfelgespräch auf Naturbühne, sonnenüberflutet. Auf beiden Sitzflächen liegt etwas, ausgebreitet, absichtlich, demonstrativ. Ilka geht vorsichtig näher. Das eine ist Leos Badehose, das ist kein Mirakel, die hat er wahrscheinlich irgendwo im Garten liegen lassen. Das andere ist Amos’ gelbe Badeente, die aber auf der Seite liegt, weil ein Schaschlikspieß quer durch ihren Hals getrieben wurde. »Leo«, ruft Ilka, »Leo, Lee-oo!«
Später, als Ilka Leo die verschiedenen Werkzeuge reicht, mit denen er das demolierte Türschloss des Pförtnerhäuschens ausbaut, formt sich in ihrem Kopf bereits die Geschichte, die sie von nun an ihren Freunden erzählen wird. Der Spaß, den sie mit den beiden Gendarmen gehabt haben. Und die verblüffenden Rückschlüsse auf die Täter, die die Gendarmen aufgrund ihrer langen Erfahrung ziehen konnten. »Das waren keine Rumänen«, hat der eine Gendarm sofort gesagt und dabei mit dem Daumen über seine Schulter, in Richtung See, gezeigt. »Wieso nicht?«, hat Leo, »wieso Rumänen, da drüben ist doch Ungarn?«, hat Ilka im selben Moment gefragt, aber das beantwortete ihr keiner, das hat sie sich später selber erschlossen, dass es den Ungarn ja schon fast so gut geht wie uns.
Ratet mal, wieso das keine Rumänen waren, hört sich Ilka bereits amüsiert ihre Freunde fragen – das Wort »Rumänen« wird ihr bis dahin flüssig über die Lippen gehen. Leo leuchtet mit einer Taschenlampe in das verbogene Türschloss. Ganz einfach, im Pförtnerhäuschen war ja noch so viel anderes, vor allem Kabelrollen, Werkzeuge, ein Großteil des orange-grauen Gardena-Sortiments für den Hobbygärtner und die Bohrmaschine – ›und so was lässt der Rumäne nicht liegen‹, wie der Gendarm im anzüglichsten Singular gesagt hat. Leo und Ilka haben betreten gelacht, als die Gendarmen so frei von der Leber weg redeten. Sie wollten auf keinen Fall die typischen Eigenheimbesitzer sein, die schon wegen eines kleinen Einbruchs im Nebengebäude hysterisch werden.
Die Gendarmen waren sichtlich bemüht, die Herrschaften mit Schmankerln aus ihrer Arbeit bei Laune zu halten, während sie mit einer Digitalkamera Bilder vom »Tatort« machten: Dazu gehörte unbedingt die Geschichte aus Schattendorf, wo dem Bürgermeister direkt von der Wäscheleine herunter jener feine Kaschmirpullover gestohlen worden war, den der Rumäne noch trug, als man ihn auf einem Autobahnparkplatz kurz vor Salzburg tot aus einem Lkw-Laderaum zog. Ob der Bürgermeister diesen Pullover wohl zurückhaben wollte? Ob er ihn von seiner Frau erst einmal waschen und dann wieder in den Garten zum Trocknen hängen ließ? Hahaha. Die Beamten strengten sich wirklich an. Hier waren endlich einmal welche, die auch für die komischen Seiten ihrer Tätigkeit zu gewinnen waren, für jene Details, die sie sonst unter grimmigem Mitgefühl verbergen müssen.
Mit viel Hallo und einer Jahresdosis Anerkennung fahren sie schließlich weg. Ilka, Leo und die Kinder winken noch engagiert vom Gartenzaun, aber nach dem letzten Winken fühlen sie sich wie Schauspieler ohne Text. In Ilkas Kopf rauscht es. Das, was sie gerade gehört hat, führt doch logisch zu etwas anderem, etwas liegt da hinter ihrem Überforderungsnebel ganz offen und grell da, aber sie kriegt es noch nicht zu fassen. Leo hat sofort begonnen, das aufgebrochene Schloss auszubauen, denn irgendetwas muss man ja jetzt tun. Alina und Joshi schleifen die beiden übrig gebliebenen Gartensessel über den Rasen an ihren angestammten Platz und lösen die bizarre Gipfelgesprächssituation auf. Doch so allein, ohne Tisch und die anderen vier, sehen die Sessel immer noch beklemmend aus, man wünscht sich auch sie weit weg. Opfer haben einfach etwas Unangenehmes.
Als Leo endlich alle Schrauben herausgedreht und ihr in die Handfläche gelegt hat, als er
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