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Laessliche Todsuenden

Laessliche Todsuenden

Titel: Laessliche Todsuenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Menasse
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das Schloss vorsichtig aus dem Türblatt zieht und sie beide kurz wie blöde in den unregelmäßig ausgefrästen Hohlraum starren, als wäre da drin eine Erklärung, begreift sie es. »Die wollten also nur unsere Gartenmöbel«, sagt sie zu Leo, der inzwischen am Boden kniet und mit einem Schraubenzieher im Schloss herumstochert. »Sieht so aus«, sagt Leo, der zuvor noch nie ein Schloss repariert hat. »Den Tisch und vier Sessel nehmen und die anderen zwei dalassen«, flüstert Ilka, »und noch so komisch aufbauen, wie eine Nachricht.« »Werden nicht mehr in den Kofferraum gepasst haben«, antwortet Leo und greift nach dem Hammer.
    »Die haben unsere Gartenmöbel gekannt!«, ruft Ilka aus, und Leo sagt: »Du kannst ja morgen durchs Dorf fahren und in alle Gärten schauen.« Dann holt er aus und schlägt auf den Schraubenzieher, in der Hoffnung, den verklemmten Riegel zu lösen, aber stattdessen springt vom Plastikgriff des Schraubenziehers ein großes Stück ab. Und auch innen im Schloss bricht etwas. »Leo!«, schreit Ilka, »jetzt lass das doch, verdammte Scheiße«, und sie bückt sich, packt das Schloss, in dem es scheppert wie in einer Kinderrassel und rennt einfach aus dem Garten in Richtung Schilf.
    Sie läuft zehn Meter, fünfzig Meter, hundert, geradewegs ins Dickicht hinein. Zuerst tut das Laufen gut, doch früher, als ihr lieb ist, setzt die höhnische Selbstbeobachtung ein. Wo will sie denn hin? Weg allein ist noch keine Richtung. Was soll dieser dramatische Auftritt? Gerade, als sie sich am Riemen reißen will, kurz bevor sie bereit ist, stehen zu bleiben, sich irgendwohin zu setzen und, schon ungeduldig, die Zeitspanne abzuwarten, nach der sie ohne Gesichtsverlust zurückkehren kann, stößt sie auf Jan. So bleibt die Erregungsblase, in der sie herumtappt, vorerst intakt.
    Jan sitzt auf einem der alten Stege, die seit Jahren vor sich hin faulen, und angelt. Umschwirrt von Millionen Gelsen (»mehr Gelsen als Sauerstoffmoleküle«, wie Ilka im Normalbetrieb sagen würde), sitzt der da. Angelnde Männer sind für Ilka eigentlich das Synonym für kriminelle Langeweile, dicht gefolgt von golfenden Männern und solchen, die zu Socken und Sandalen auch noch geflochtene Ledergürtel tragen. Aber wenn sie, wie jetzt, einfach aus ihrem Leben herausplatzt, dann ist sie imstande, selbst Angeln interessant, ja, sogar für ein unmittelbar überzeugendes Heilmittel zu halten.
    Sie setzt sich neben ihn und sieht aufs Wasser. Er lässt die Angel sinken, dreht sich zu ihr und schaut sie voll an. Das kennt sie schon, mit ihm ist es am Anfang immer ein bisschen peinlich. Entweder er redet kaum und schaut nur, oder er überfällt sie mit eindringlichen, verwickelten Vorträgen, die anfangs herrlich verschroben, am Ende aber immer zu lang sind. Aber dass alle anderen überhaupt nur seine schweigsame Seite kennen, darauf bildet sich Ilka durchaus etwas ein.
    Jan steht auf, befestigt umständlich seine Angel, indem er sie zwischen zwei heile Planken steckt, setzt sich wieder und nimmt ihr das Türschloss aus der Hand. Ilka findet das zu vertraut, aber im nächsten Moment wünscht sie sich, sie könnte das Schloss zurücknehmen, damit er es noch einmal fortnähme, so sanft schien ihr seine Geste. »Kann man aufbohren, innen reparieren, dann wieder schweißen«, sagt er nach einer Weile und meint mit »man« wohl wie immer sich selbst, »ein Schloss in diesem Format wirst du sonst nicht mehr kriegen.«
    »Das hört sich aufwendig an«, sagt Ilka zögernd.
    »Für ein anderes Schloss müsste man den Schlitz in der Tür anpassen«, sagt Jan, »man, nicht ich«, als hätte er ihre Gedanken gelesen. »Du wirst die Tür nicht zu mir hinübertragen wollen. Und für deinen Bienenkorb von Familie habe ich kein Talent.«
    Das klingt wie ein Geständnis. Oder ein Antrag. Unsanft begegnet Ilka ihrem eigenen Hochmut, als sie in Jans helle Augen sieht, die kein bisschen amüsiert schauen, nur forschend. Sie hat ihn immer für einen Schrull gehalten, fast für ein asexuelles Wesen. Und jetzt weiß sie nicht weiter, sie fühlt sich Jan unterlegen. Was er gerade gesagt hat und wie er sich benimmt, das könnte nämlich alles heißen oder nichts. Oder beides gleichzeitig, was genial wäre. Dann hätte sie die freie Entscheidung, anzunehmen oder nicht, ganz ohne Peinlichkeit für beide. Anzunehmen. Was eigentlich? Was hat er gesagt? Er will sie ohne Familie, das hat er gesagt, aber das heißt doch: Er will sie.
    Ilka bemerkt, dass sie mit

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