Laessliche Todsuenden
war es aber bei den Urls, vor der Einbauwand aus Mahagoni und unter den Matisse-Drucken von Ikea, noch angenehmer als auf den unzähligen Taufen, Hochzeiten, Geburtstagen und Begräbnissen, auf die Marie-Thérèse dauernd ging oder zu gehen hatte, wie sie meinte, und denen auch er sich nicht völlig entziehen konnte. Die Frau von X gibt ihre Kinder aufs Akademische, ist es zu glauben? Dort wird doch angeblich nur gehascht! Ich sag euch eins, die Europäische Union wird uns Waldbesitzer ruinieren! Dieser Nitsch verdient Millionen, weil Blasphemie heutzutage »in« ist. Weit ist es gekommen. Der Älteste vom Y hat sich verlobt, mit einer Jugoslawin! Mein Gott, ist eure Amélie gewachsen! Ein schönes Kind! In der Albertina zeigen sie jetzt endlich wieder die alten Dürer-Radierungen, herrlich, sage ich dir. Geht ihr heuer nach Mariazell? Nein, wir fahren nach Medjugorje. An der neuen Kinderbibel hat mein Neffe, der Vikar, mitgearbeitet. Auf jeden Fall sehen wir uns in Ischl!
Cajou hätte sich ständig gekratzt, wenn Marie-Thérèse ihn nicht immer wieder beiläufig davon abgehalten hätte. Lichtblicke wie sein Schwager Theo oder der unkonventionelle Fürst Schwarzenberg waren selten. Meistens lief er direkt in die Arme von Dianas Schwiegereltern oder seiner eigenen, und wurde gefragt, wie lange er noch zu rauchen gedenke. Auch wenn man scheinbar nur seinen eigenen Körper ruiniert, hat man doch eine Verantwortung für andere! Natürlich stritt er hier, Cajou, anders als vor der Einbauwand, er konnte nicht anders. Er sagte vor den Kindern »schwul«, wenn es um das Zölibat ging, er ritt auf den Nazi-Verstrickungen bekannter Familien herum und nannte den Vater seiner Cousins einen »SS-Verbrecher«, er begann fast zu schreien, nachdem man seinen Satz, Kreisky sei immerhin um Eckhäuser intelligenter als Otto von Habsburg, belächelt hatte. Er war oft so gereizt und streitlustig, dass er längst als Misanthrop und Querulant galt und seine Frau von handwarmem Mitleid umspült wurde, Marie-Thérèse, die mit Kinn, Augen und sparsamer Gestik ihre Kinder durch die Gesellschaft dirigierte, dabei unbeirrt strahlte und so tat, als ob sie nichts bemerke.
Mit den Frauen war es in diesen Jahren, als die Kinder klein waren, unkompliziert. Nur nach der ersten war Cajou überrascht, nach der allerersten in einer Reihe, die nicht lang und nicht ganz kurz werden sollte. Am nächsten Morgen, als er beim Rasieren in den Spiegel schaute, dachte er verwundert: »Ich habe meine Frau betrogen.« Er spürte nur einen Anflug von Gewissen. Es war nicht wichtig gewesen, nicht einmal sexuell zwingend, und niemand würde je davon erfahren. Diese erste in der Reihe war die Geschäftsführerin des Restaurants im Palmenhaus, wo Cajou viele seiner Mittagstermine abzuwickeln pflegte. Sie war eine große, elegante Frau, für Cajous Geschmack höchstens zu sehr geschminkt. Es gehörte wohl zu ihrem Beruf, dass sie Diskretion verströmte, lächelnde, feuerfeste Diskretion. Wie leicht das gegangen war mit ihr, wie selbstverständlich. Sie sah die ganze Zeit, auch nackt, so zuvorkommend aus, als bestelle er nur einen Tisch bei ihr, allerdings einen besonderen Tisch, einen guten und etwas versteckten. Er traf sie noch einige Male, dann war es vorbei, ohne Grund und ohne ausgesprochenes Ende. Cajou blieb Stammgast im Palmenhaus, und sie grüßten einander weiterhin freundlich, ja augenzwinkernd, als alte Vertraute, niemand hätte sich dabei etwas gedacht. Ab der nächsten in der Reihe schien so etwas normal wie der Mokka nach dem Essen.
Dabei war Cajou nie auf der Suche nach Frauen. Mit den meisten Frauen tat er sich schwer. Die Adeligen waren entweder naive junge Mädchen oder verheiratete Langweilerinnen wie zumindest zwei seiner Schwestern; und die paar Gräfinnen und Baronessen, die sich in der Kunst- und Musikszene bewegten, gaben sich aus Distinktionsgründen so ausgeflippt, dass ihm grauste. Die bürgerlichen Frauen wiederum blieben ihm ein Rätsel. Da er hier, anders als unter seinesgleichen, überhaupt nur der schmalen Bildungselite begegnete, war sein Urteilsvermögen gewiss begrenzt. Doch schien ihm der Gefühlsausbruch das Merkmal der bürgerlichen Karrierefrau zu sein. Die Frauen in der Firma waren irritierend emotional, jede auf ihre Weise. Da war zum Beispiel eine Sekretärin, fünfsprachig, attraktiv, die nebenbei ein Abendstudium der Philosophie betrieb und das ganze Jahr zur vollen Zufriedenheit funktionierte, nur ein- bis zweimal,
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