Laessliche Todsuenden
meistens im Winter, war sie völlig verstört und weinte tagelang stumm in sich hinein. Da war die grobknochige rotblonde Abteilungsleiterin mit dem unvorteilhaften Pferdehintern, äußerlich wenig anziehend, doch fachlich unentbehrlich. Sie war ein kreatives Kraftwerk, beinahe ein Star der Branche, aber sie kostete ihren Ruhm auch weidlich aus. Intern war sie eine wüste Diktatorin, sie biss oft genug auch in Cajous Richtung, aber vor allem hatte er regelmäßig ihre verheulten Mitarbeiterinnen bei sich sitzen, die es selten lange hielt.
Und die Journalistin, die jenes große erste Porträt über ihn geschrieben hatte und über die er eine Weile lang einschlägig nachdachte, war ihm dann doch zu intellektuell. Sie schien äußerst kontrolliert, aber allzu schlagfertig, und Cajou misstraute deshalb der Kontrolle. Sie konnte Tarnung sein oder ein Korsett, das die Leidenschaften nur wegsperrte. Er fürchtete sich weiterhin vor nichts so sehr wie vor Szenen.
Die Frauen, mit denen er ins Bett ging, hätte man nie aktiv finden können. Sie traten ihm von Zeit zu Zeit in den Weg. Sie waren entweder kühl und ehrgeizig und wollten, wie er, einfach ein bisschen niveauvollen Sex. Oder sie waren in seine ironische Unnahbarkeit verliebt, so sehr, dass sie sich nie die Blöße gaben, es zu gestehen. Die sich unter stummen Qualen abservieren ließen und auf ihre tadellose Haltung noch stolz waren. Selbstverständlich weigerte sich Cajou, davon je etwas zu bemerken. Denn eigentlich war er immer froh, wenn eine Affäre vorbei war. Er gefiel sich nicht als Seitenspringer, nicht wegen Marie-Thérèse oder gar wegen Gott, sondern aus eigenem Ethos. Er fand, er sollte weniger genusssüchtig sein, wie jemand, der sich dafür tadelt, gelegentlich Schokolade zu naschen.
Die Firma lief gut, allen Nörglern und Skeptikern zum Trotz. Das, was anfangs wie das Experiment eines ausgelassenen Kindes mit einem viel zu komplizierten Spielzeug ausgesehen hatte, galt plötzlich als »innovativer Führungsstil«. Zwei harte Konkurrenten, die sich nach diesem Vorbild ebenfalls ruckartig verändern wollten, gingen Pleite, aus Gründen, die Cajou nicht interessierten. Er hätte sich darüber freuen können, doch er wusste, dass er unter Druck am besten war. Zwei Jahre lang bastelte er an Abläufen und Strukturen weiter, so wie manche in einem Haus, das längst fertig ist, noch ein paarmal die Dekoration ändern.
Cajou, der sich zunehmend langweilte, fühlte sich beobachtet. Er sah den Pferdehintern manchmal grinsen, und er wusste, dass er sein von vielen bewundertes Maul auch an ihm schärfte. Und Url tat ungeheuer beschäftigt, so sehr, dass schon lange keine Einladung zum Fasan mehr gekommen war. Cajou fragte sich, ob er überlastet sei, ob das seine, Cajous, Schuld sei und wie er das herausfinden könnte, ohne Url zu beleidigen. Unbehaglich dachte er manchmal an Euler-Wadl, der mit zunehmender Macht geradezu paranoid geworden war. Was war aus Euler-Wadl geworden? Er saß auf irgendeinem Aufsichtsratsposten hinten links, natürlich bei besten Bezügen. Der »einfache Bauernbub« auf dem Abstellgleis. Aber man konnte nie wissen. Man sollte ihn einmal zum Mittagessen einladen, an einem diskreten Tisch, im Palmenhaus.
Eines Tages fragte Jaakov Brendel, der der einzige war, mit dem er manchmal freiwillig private Zeit verbrachte, nach Cajous Vater. Der Nazi, das sei sein Onkel gewesen, winkte er sauer lächelnd ab, so wie er es viele Male zuvor getan hatte, aber anders als früher bemerkte er diesmal selbst, dass die Frage damit nicht beantwortet war. Ganz kurz streifte ihn ein Ärger, über Brendels doch irgendwie typisches Gesicht, schwarze Augen, fliehendes Kinn, so saß der da und konnte inquisitorisch fragen, weil sein Hintergrund ja moralisch geklärt war. Und da erschrak Cajou nach sehr langer Zeit wieder über sich selbst, er wollte büßen und hatte keine Ahnung, wie.
Kurz darauf nahm er die Expansion in den Osten in Angriff. Er hatte sie lange vorgehabt, aber bisher nicht gewagt. Es schien sich einiges zu bewegen hinter dem Vorhang, und es könnte sich auszahlen, unter den ersten zu sein. Er reiste nach Prag, nach Budapest und nach Warschau, er sprach mit den Banken und mit Mittelsmännern, die in seinem Auftrag mit den Kommunisten verhandelten. Er entzweite sich darüber mit Helmut Url, der alles tat, ihn davon abzubringen. »Auch hier mehr Mut zum Risiko, lieber Freund«, zog Cajou ihn lachend auf, »ich hab dich nämlich gesehen, wie du
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