Laessliche Todsuenden
aus dem ›Orient‹ gekommen bist, mit einer Frau, die offensichtlich nicht deine war.« Url verfärbte sich und verließ unter einem Vorwand den Raum, und es dauerte Monate, bis Cajou begriff, dass er sich einen Feind gemacht hatte.
Daneben ging er gelegentlich auf die Uni und in das Archiv im alten Rathaus, wo er sich zu den entsprechenden Akten und Verzeichnissen durchfragte. Er suchte nach seinem Vater. Er fand auf Anhieb nicht viel, eine relativ frühe Parteimitgliedschaft, die nichts Besonderes war. Was hatte sein Vater getan? War er wirklich all die Jahre nur im Waldviertel gesessen und hatte das Vermögen seiner Brüder verwaltet? Nach einer Weile schien ihm gerade verdächtig, dass es so wenig gab. Konnte ein Mensch so schlecht dokumentiert sein?
Bald fehlte ihm dafür die Zeit. In den Zeitungen erschienen Bilder von ihm, als er die erste Filiale in Brünn eröffnete und schon bald darauf die zweite in Sopron. Er gehe nicht in die Hauptstädte, sondern an jene Orte, die strategisch gut lägen, sagte er in einem Interview, und das galt so lange als der Weisheit letzter Schluss, bis ein anderer mit etwas anderem erfolgreich war.
Cajou war kaum mehr zu Hause, er war kaum mehr irgendwo lange. In den schnellen Autos, die er sich als einzigen Spleen leistete, raste er von hier nach dort und dazwischen, manchmal nur für Stunden oder eine Nacht, zu seiner Familie. Marie-Thérèse begann sich zu beschweren, erst ironisch (»Soll ich mir einen Liebhaber nehmen?«), dann bitterernst. »Nur noch kurz«, entschuldigte er sich gehetzt, »nur noch ein paar Monate, es gibt solche Phasen, danach kommen andere.«
»Das glaube ich dir nicht«, entgegnete Marie-Thérèse mit der Unverblümtheit, die ihn einst so entzückt hatte. Ihre Ehe galt allgemein als großer Erfolg. Später formulierte es Cajou einmal so: Er habe sie geliebt, aber er habe nie alles an ihr geliebt. Und sie sei so lebensklug gewesen, ihm seine Freiräume zu lassen, weil sie sich in dem, was ihr wichtig war, immer auf ihn verlassen konnte. Bis auch das nicht mehr stimmte.
III.
Cajou sah das Mädchen zum ersten Mal auf dem Stephansplatz. Es war ein heller Maitag und sehr früh am Morgen, die Touristen waren noch in den Betten, und die Stadt gehörte sich selbst. Wenn überhaupt, schlief Cajou in der ersten Nachthälfte gut, und sobald er aufwachte, musste er hinaus. An solchen Tagen lief er kreuz und quer durch die Stadt, manchmal war er bis in den Prater gelangt, ohne es recht zu merken. Aber das Mädchen fiel ihm auf. Es ähnelte wohl ein wenig der jungen Isolde, das erkannte er erst später. Vielleicht war es das Lächeln, das ihn irritierte, ein Lächeln so maskenhaft, wie er selbst sich oft beim Freundlichsein fühlte. Das Mädchen kam von rechts, aus der Goldschmiedgasse, sie stießen fast zusammen, er wich nach links aus und taumelte beinahe, es lächelte ihn auf jene befremdliche Weise an und ging zügig weiter, den Dom entlang und schließlich in den Hof der Deutschen Ordenskirche hinein. Cajou, der am Graben einen Espresso hatte trinken wollen, bog stattdessen ab und schlenderte in die Singerstraße. Dort erschien das Mädchen prompt, das schwere Tor fiel hinter ihm zu. Es ging schnell, so schnell wie er, es war leicht, ihm zu folgen. Cajou dachte gar nichts Bestimmtes, er ging einfach weiter, ihm war ja egal, wohin.
Irgendwo, in der Annagasse oder in der Krugerstraße, betrat es als erste Kundin einen Supermarkt. Es schien ungeduldig, als es warten musste, weil die Angestellte erst die Tür aufschloss, und Cajou wusste einen Moment nicht, was er tun sollte. Dann ging auch er hinein und stand etwas ratlos zwischen den Regalen. Das Mädchen war nicht zu sehen, die Angestellten schoben Kartons herum. Doch plötzlich war das Mädchen neben ihm, und er nahm eilig irgendetwas aus dem Regal. Es blickte ihn an, dann die Konservendose in seiner Hand und stellte ironisch fest: »Menschen wie Sie haben Hunde.« Dann wurde es rot. Cajou sah auf die Dose, auf der ein grell kolorierter Berner Sennenhund eine freundliche Zunge zeigte. Er stellte sie zurück, deutete auf das Nescafé-Glas, das das Mädchen hielt, und sagte: »Ich lad Sie auf etwas Anständiges ein.«
»Es hat doch noch nichts offen in dieser Stadt«, erwiderte das Mädchen zögernd, und er sagte: »Da täuschen Sie sich zum zweiten Mal.«
In den ersten Wochen gelang es Cajou, sich keine Rechenschaft darüber abzulegen, in welche Richtung diese Sache wies. Nach dem Stehkaffee im
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