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Laessliche Todsuenden

Laessliche Todsuenden

Titel: Laessliche Todsuenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Menasse
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verstand. Der jugendliche Lebensekel des Mädchens verband sich mit seinem wohlerworbenen. Manchmal kochte es für ihn, mit gerunzelter Stirn, und bat ihn dann streng, langsamer zu essen.
    In diesen ersten Monaten fühlte Cajou sich wie erlöst. Sein ganzes bisheriges Leben schien falsch gewesen zu sein, und er schwor sich, es von Grund auf zu ändern. Anders würde er nicht überleben. Das war sein Plan, in den er rasend verliebt war. Er sah eine gigantische Aufgabe, eine Art blutenden Berg vor sich, dann sah er sich auf der anderen Seite, ermattet, doch so stolz. Was dazwischen lag, müsste man erst in näheren Augenschein nehmen, um es adäquat bewältigen zu können.
    Dem Mädchen sagte er nichts von seinem Plan. Es war das einzige, was er für sich behielt, aber natürlich hoffte er, dass es etwas ahnte.
    Bis dahin sollte alles bleiben, wie es war, seine morgendlichen Besuche bei seiner klugen, kleinen Freundin, die ihm überhaupt erst die Kraft gaben, sich in die Schlangengrube von Firma zu begeben. Der höfliche Händedruck bei Ankunft und Abschied. Der unschuldige Wangenkuss, wenn er, wie es nur selten geschah, abends vorbeikam, was dem Mädchen übrigens fast unangenehm schien, im Gegensatz zu den fröhlichen Frühstücken. Keine Angst, hätte er beinahe gesagt, ich rühr dich nicht an, doch indem er das erst einmal dachte, konnte er es auch in Frage stellen, und deshalb ließ er das Thema lieber ganz.
    Er hätte es gerne gelassen. Doch nach dem Sommer begann ihn das Ungleichgewicht zu stören. Er warf sich in immer neuen Wellen vor das Mädchen hin, er legte ihm sein Herz zu Füßen, doch es hielt sich bedeckt. Es hatte keine großen Fehler und Verirrungen im Tausch zu gestehen und kein ganzes Leben zu bereuen, es hatte Fragen, Träume, einen Haufen Bildung und eine geheime Angst, sich zu blamieren. Etwas zu verlieren, das hatte scheinbar nur er. Monatelang hatte ihn fasziniert, dass das Mädchen ihm gleichberechtigt gegenübertrat, ohne sich von Verliebtheit oder gar körperlicher Anziehung einschränken zu lassen, sie waren zwei Mönche, die nur einem reinen, recht skeptischen Geist dienten. Nun kränkte es ihn. Und bald ärgerte es ihn. Sollte sein perfektes Mädchen einen Fehler haben? Eine Störung, eine Hemmung, eine Kälte?
    Sobald er den Stachel zum ersten Mal spürte, war der Rest nur eine Frage der Zeit. Er brachte genügend Erfahrung mit, und schließlich kannte auch er den Charakter des Mädchens inzwischen gut. Seine Geständnisse wurden anspielungsreicher, er schickte nicht mehr nur Briefe, sondern manchmal auch Blumen. Das Mädchen fand das erst ärgerlich, dann komisch, schließlich war es gerührt. Es schien sich die Rolle als Frau noch nicht zu glauben, schon gar nicht vor ihm.
    Er lockte es hinaus aus seiner Wohnung, weg von seinen Büchern und Sicherheiten. Er kaufte ihm Bergschuhe, er entdeckte, dass es sehr kleine Füße hatte. Zwergenfußmädchen, so nannte er es. Sie fuhren auf die Rax. Es war spät im September. Sie hielten sich an den Händen, sie fanden das Schutzhaus mit letztem Glück. In der dampfenden Stube lag ein schönes, totes Reh auf dem Boden, die Augen offen, als wären sie aus Glas. Die tödliche Wunde war nur ein kleiner schwarzer Fleck. »Wir müssen übernachten«, sagte er. Das Mädchen drohte ihm mit dem Finger: »Zwei Zimmer!«
    »Natürlich«, spottete er, »was hast du denn gedacht.« Er betrat sein Zimmer und wusch sich die Füße. Dann setzte er sich einfach an den Tisch und wartete. Nach einer halben Stunde klopfte das Mädchen an seine Tür, rosig vor Scham und Aufregung. Am nächsten Morgen schnitt es die Semmel wieder mit dem Messer auf und entschuldigte sich dann heftig dafür.
    Bevor er das Mädchen zu seiner Geliebten gemacht hatte, waren Cajou die nächsten Schritte ganz einfach erschienen. Marie-Thérèse und er lebten doch nur mehr nebeneinanderher, die Kinder waren fast erwachsen, alles ging seinen geregelten Gang. Seine Frau schien nicht mehr zu wollen. In den ersten Jahren des Ost-Engagements war sie gegen seine Arbeitswut angerannt, aber nach einer Weile gab sie auf. Sie war dann monatelang verstimmt und ließ ihn ihre Missbilligung spüren, aber schließlich lenkte sie ein. Auch sie ging längst ihrer Wege, mit ihren Tanten, Freundinnen und ihren alten Instrumenten, sie sang im Chor und half sogar Frau Url bei deren Initiativen für gesündere Lebensmittel. Cajou wusste nichts Genaues. Dass er in dem, was sich gehörte, weiterhin funktionierte,

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