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Laessliche Todsuenden

Laessliche Todsuenden

Titel: Laessliche Todsuenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Menasse
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war selbstverständlich, auch wenn er Marie-Thérèse gegenüber seiner Verachtung für all die Familienfeiern und Gottesdienste freien Lauf ließ. Man müsste es nur aussprechen, hatte Cajou in den ersten erregenden Wochen mehr geträumt als gedacht, als ihm sein ganzes bisheriges Leben endgültig fremd geworden war. Man müsste es nur aussprechen und eine geräuschlose, skandalfreie Trennung von Tisch und Bett würde erfolgen. Bei den Gottesdiensten und Familienfeiern wäre er weiterhin anwesend. Es gab Beispiele für solche Arrangements, in nächster Nähe. Man brauchte keine Scheidung, Scheidungen waren etwas für Spießer, die mit dem Messer in der Semmel säbeln und ihre Schmutzwäsche öffentlich waschen.
    Doch als das Mädchen seine Geliebte war, schien dieser Weg mit einem Mal versperrt. Er war unlauter. Cajou hatte einen schweren, ja, unverzeihlichen Fehler begangen. Erst sich trennen, dann vögeln, tobte er gegen sich selbst. Er hasste sich, weil er insgeheim wusste, dass ihm der richtige Weg zu schwierig gewesen war. Halb unbewusst hatte er Fakten geschaffen und sich seinen Liebeswunsch erfüllt. Das große Ganze hatte er darüber verraten. Sein neues Leben. Halb unbewusst, dachte er, das heißt aber auch: zur Hälfte ganz bewusst.
    Er hätte das Mädchen nicht zu einer Affäre machen sollen. Und nun durfte er das Mädchen nicht auch noch zum Trennungsgrund machen, weil es das nicht war. Höchstens war es ein Katalysator, die letzte Stufe in einer langen, in einer jahrelangen Entwicklung. Marie-Thérèse würde diesen Unterschied gewiss nicht begreifen. Niemand würde ihn begreifen. Ein Mann, der seine Frau verlässt und mit einem jungen Mädchen schläft, das ist ein Abziehbild, ein Klischee, ein Täter. Aber um die Gralshüter der Moral war es ihm nie gegangen, die hatte er schon bisher gern provoziert. Plötzlich fürchtete er sich vor Marie-Thérèses Gesicht wie vor nichts anderem.
    Bei solchen Überlegungen war er naturgemäß ganz allein. Er, der die hemmungslose Selbstanklage als Droge entdeckt hatte, musste wieder etwas für sich behalten. Er glaubte, das hindere ihn letztlich daran, eine Lösung zu finden. Als könne man nur Gedanken zu Ende führen, die man offenlegt.
    Er sprach zwar mit dem Mädchen über seine Ehe, das schon, das hatte er von Anfang an gemacht. »Ein so liebenswürdiger, gutherziger Mensch, meine Frau«, sagte er dem Mädchen, »beinahe ein Engel. Das passt natürlich nicht zu mir. Ich hätte etwas ganz anderes gebraucht, wahrscheinlich jemanden wie Isolde, aber ich habe auch den Erwartungen entsprechen wollen. Ich war schwach. Ich war jung und schwach, du bist das zum Glück nicht.«
    »Das bezweifle ich gerade«, sagte das Mädchen, doch da küsste er es lieber und trug es ins Bett.
    Mehr ging vorläufig nicht. Seit sie miteinander schliefen, war das Mädchen in anrührender Weise verändert. Es zeigte eine weiche Seite und manchmal eine dunkle, verzweifelte. Aber da er es mit Stärke und Ironie verführt hatte, musste er vorläufig dabei bleiben, auch wenn hier bereits die Unredlichkeit begann.
    Cajou gab sich Urlaub. Er hatte so viel gekämpft in all den Jahren, nun wollte er sich besinnen und alles in Ruhe ordnen. Das Mädchen würde staunen. Er würde noch einen Menschen aus sich machen, das wäre doch gelacht.
    Die Wochen vergingen, es wurde Winter. Die Übergangszeit, die Cajou sich verordnet hatte, veränderte sich binnen eines Tages von etwas Leichtem, Luftigem zu einem Sumpf. Er bekam die Füße nicht frei, aber er hätte auch keine Richtung gewusst. Es war der Tag, an dem das Mädchen ein hellgrünes Kleid, Lippenstift und eine neue Frisur trug. Den alten Freund hatte es längst in die Wüste geschickt, aber plötzlich hielt Cajou für möglich, dass es einen neuen suchte.
    »Wir müssen reden«, sagte es, und Cajou antwortete: »Da hast du recht.« Das Mädchen zog eine Augenbraue hinauf und fragte: »Möchtest du anfangen?«
    Cajou dachte keine Sekunde nach. Ihm war sofort klar, was zu tun war. Zwar sah er überscharf sein Taktieren und nahm es sich übel, aber wie alles, was er dem Mädchen sagte, war ihm das Folgende trotzdem todernst. Kopfüber sprang er hinein in ein Geständnis, in den aufgebauschten Bericht des Einzigen, was er bisher verschwiegen hatte. Sein Vater, dessen Vergangenheit, die auffällige Lücke. Nichts habe er herausfinden können, alles sei beiseite geschafft. Dass es nichts gab, nicht einmal Harmloses, sei doch beinahe ein Beweis. Dazu

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