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Laessliche Todsuenden

Laessliche Todsuenden

Titel: Laessliche Todsuenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Menasse
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»wir« beruhigte. Sie blieb immer sie selbst, verlässlich Marie-Thérèse. Sie fragte nicht, sie nahm das Unglück, als käme es wahrlich von Gott, und sie vertraute darauf, dass er es auch wieder lindere.
    Dem Mädchen verkaufte er diesen Schachzug als Fortschritt. »Warum nicht bei mir?«, fragte es, als es begriff, dass Theos Stadtwohnung keine Ausrede war, sondern ein penibel eingehaltenes Gelübde, und sei es vier Uhr früh. Seine Erklärungsversuche verspottete es. Auf »die Wahrheit«, hielt es ihm vor, könne er sich erst wieder berufen, wenn auch seine Frau ihrer teilhaftig sei. »Der Wahrheit teilhaftig«, sagte es, faltete die Hände und sah ihn sarkastisch an. Cajou gefiel das überhaupt nicht. Doch wieder nahm er alle Schuld auf sich. Was war er doch für ein Pharisäer! Seit er das Mädchen kannte, liebte er dessen messerscharfen Witz, aber wenn er sich gegen ihn wendete, dann wollte er verletzt sein?
    Marie-Thérèse ging nun wirklich dauernd beten. Und Pater Hermann erschien wieder regelmäßig zum Abendessen, das hatte sie Cajou jahrelang erspart. Einmal blieb der Pater bis halb elf, als hätten sie das abgesprochen. Cajou wurde schlecht vor Zorn, als er den Sinn durchschaute, doch nach außen blieb er liebenswürdig. Als der Pater sich endlich verabschieden wollte, nahm Cajou auch seinen eigenen Mantel beiläufig vom Haken. Er würde sich nicht zwingen lassen, das würde Marie-Thérèse lernen müssen. Der hübsche Plan, falls es denn einer gewesen war, würde sich gegen sie wenden. Vor keinem anderem als ihrem Moral-General würde Cajou den Zustand ihrer Ehe ungerührt bloßstellen. Wofür leistete man sich schließlich einen persönlichen Beichtvater? »Du gehst noch mit dem Hund, Carl Ludwig?«, fragte Pater Hermann, der genau wusste, dass es keinen Hund gab. »Sehr wohl«, antwortete Cajou mit einer leichten Verbeugung, »der Hund ist schon vorausgegangen.«
    Er lachte noch, als er den Dachboden erreichte, und nach kurzem Zögern lachte das Mädchen mit. Es war plötzlich wieder wie am Anfang, Cajou machte sich lustig, über sich und den rigiden Pater, aber nur sanft über Marie-Thérèse, er verhöhnte sich, dass er da überhaupt hineingeraten war. Das Mädchen tat mit, es fragte nach und kommentierte, wie früher.
    Ganz kurz flog Cajou der Gedanke an, es vielleicht dabei zu belassen, nach einem Glas Wein auf dem Sofa besser wieder zu gehen. Doch er fühlte sich sicher. Nach einer Weile gingen sie ins Bett, Cajou war noch immer so heiter, dass er danach einschlief. Er hatte bestimmt keine Stunde geschlafen, doch als er aufwachte, waren alle Lichter abgedreht, als ginge das Mädchen davon aus, dass er bliebe.
    Er zog sich im Dunkeln an, und es rührte sich nicht. Doch als er sich im Stiegenhaus noch einmal umdrehte, stand es in der Tür, in T-Shirt und Unterhose, und starrte ihm nach. Er hob lächelnd die Hand und schnalzte wie für einen Kuss, doch es reagierte nicht. Am nächsten Tag rief es ihn in der Firma an und sagte, es wolle ihn nicht mehr sehen. Es werde das Dossier – so hatte es von Anfang an mit unverkennbarem Stolz seine Recherche über Cajous Vater genannt – in höchstens zehn Tagen fertig haben und ihm übergeben, dann sei aber Schluss.
    Sie trafen sich sehr früh am Morgen im Graben-Espresso. Cajou fand das rührend abergläubisch, das Mädchen schien die Zeit zurückdrehen zu wollen, damit sie neu zu laufen beginne. Als er diese Vermutung äußerte und den frühen Mai erwähnte, das flüchtige Schutzwall-Lächeln des Mädchens und die Hundefutterdose, sah es ihn so ungläubig an, dass es an Ekel grenzte. Es erklärte ihm, sehr geschäftsmäßig, den Aufbau des Dossiers. Es trank seinen Kaffee in einem Zug und stand auf. Cajou machte sich zum Narren, er hielt es am Handgelenk fest und sagte dreimal bitte, und es setzte sich wieder, weil es nicht gern auffiel. Es setzte sich und rückte ganz nah an den Tisch, es streckte ihm geradezu sein Gesicht entgegen, was er beinahe missverstand, zum Glück spitzte er nicht die Lippen. Das Mädchen begann eine Ansprache im Flüsterton, es zischte, dass er ein Lügner sei und ein Autist, ein Schauspieler ganz ohne eigenen Kern, dem auch keine Rolle so recht passe. »Irgendetwas mit dir ist nicht in Ordnung«, sagte es, »aber du verbirgst es sehr gut, ich werde mir trotzdem nie verzeihen, dass ich es nicht früher bemerkt habe. Dabei verstehe ich es noch immer nicht genau. Als würde dir ein Organ fehlen, ein lebenswichtiges. Welchem Bild

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