Laienspiel
würden sie das Problem unter Männern lösen. Auch wenn einer davon ein Exemplar war, das wohl für sein Leben gern nackte, schwitzige Männerfüße berührte.
In der Hand hielt der Verkäufer eine verstaubte, angegilbte Schachtel ohne Aufdruck. Sie war mit einer Paketschnur zusammengebunden und am Deckel bereits ausgefranst.
»Hier ist das, was Sie brauchen. Schuhe für multiple Problemfüße. Dieses Paar hat einen Dornröschenschlaf im Lager hinter sich und scheint nur darauf gewartet zu haben, von Ihnen wach geküsst zu werden. Ich habe die einmal einem Mann mit Kriegsverletzung verkauft, der war sehr zufrieden.«
Pass bloß auf, dass du hier heut nicht mit einer Kriegsverletzung rausgehst, dachte der Kommissar. Denn so fühlte er sich mittlerweile: wie auf dem Schlachtfeld. Allerdings allein und unbewaffnet. Und ohne Schuhe.
In diesem Moment holte Sigel das Paar aus dem Karton. Die Augen der Anwesenden weiteten sich: Die Schuhe waren aus schwarzem, stumpfem, narbigem Leder, demselben Material, aus dem in den Siebzigerjahren billige Aktentaschen für Behörden gefertigt worden waren, bei denen bereits nach zwei Wochen die Farbe abging. Vorn waren die Schuhe rund geschnitten und etwa doppelt so breit wie hinten. Die Sohle war aus drei Zentimeter dickem, gelblich-weißem Krepp, der in der Mitte keilförmig zulief. Unten war eine naturfarbene Ledersohle aufgeklebt.
Erika entfuhr ein erschreckter, spitzer Laut, und auch Kluftinger schüttelte ungläubig den Kopf. Selbst für ihn war dieses Modell völlig indiskutabel.
»Anziehen«, befahl seine Mutter, und auch dem Verkäufer schien es der gerechte Lohn für seine Mühe zu sein, so fordernd hielt er dem Kommissar das Paar unter die Nase. Kluftinger fügte sich – ein letztes Mal, wie er innerlich beschloss, und schlüpfte hinein. Er stand auf, ging ein Stückchen, ging noch ein Stücken weiter, stieg die Treppe hinunter und kam nach zwei Minuten lächelnd zurück.
»Da läuft man wie auf Wolken.«
Erika glaubte zunächst an einen Scherz, aber der verklärte Blick in den Augen ihres Mannes belehrte sie eines Besseren.
»Das ist jetzt nicht dein Ernst?«, zischte sie, sorgsam darauf bedacht, dass vor allem ihre Schwiegermutter sie nicht hören konnte. »Diese Dinger sind ja schlimmer als … Skischuhe. Da muss man sich ja genieren.«
»Erika«, schallte es vom anderen Ende des Raums, »wenn der Junge die Spezialschuhe braucht, dann muss er sie auch nehmen. Die Gesundheit ist wirklich wichtiger als alles andere.« Zuckersüß fügte sie hinzu: »Nimm sie ruhig, Junge, wenn sie so gut passen.«
Erika kochte. Das war zu viel. Das würde sie sich nicht bieten lassen. Hier würde sie sich durchsetzen gegen ihre Schwiegermutter, koste es, was es wolle.
Fünf Minuten später standen alle drei mit dem vergilbten Karton an der Kasse. Hedwig Kluftinger hatte noch ein Deo gegen Fußgeruch als Dreingabe zu den Schuhen gestellt.
»Hundertachtzig, der Herr«, trällerte der sichtlich erleichterte Sigel und tippte den Betrag in seine alte Registrierkasse ein.
»Was?« Kluftingers Kiefer klappte nach unten. »Haben Sie sich vertippt?«
Verwirrt sah Sigel zuerst auf die Anzeige der Kasse, dann auf den Verkaufstresen. »O, natürlich, entschuldigen Sie.«
Kluftinger atmete auf und entspannte sich.
»Macht dann einhundertfünfundneunzig. Das Deo hatte ich ganz vergessen. Ich bitte nochmals um Entschuldigung.«
Der Kommissar reagierte nicht. Er stand einfach regungslos da.
»Ich zahl für meinen Sohn«, mischte sich Kluftingers Mutter ein, zückte den Geldbeutel und löste damit seine Erstarrung.
Was nun geschah, lief in Kluftingers Wahrnehmung wie in Zeitlupe ab. Er zögerte nur einen Augenblick, holte dann auch seinen Geldbeutel aus der Hosentasche und rangelte mit seiner Mutter, die ihm jeden Geldschein, den er herausnahm, entweder zurück in den Geldbeutel oder in die Hosentasche schob. Wenigstens war er der Achtzigjährigen körperlich überlegen, und so gelang es ihm schließlich, sie abzudrängen und dem Verkäufer zweihundert Euro in die Hand zu drücken. So weit käme es noch. Die Zeiten, dass er sich von seiner Mutter die Schuhe bezahlen ließ, waren vorbei. Große Sprünge konnten seine Eltern von der kleinen Landpolizisten-Pension sowieso nicht machen.
»Geht ihr schon mal raus, Kinder, ich komme gleich«, sagte Hedwig Kluftinger schließlich, als ihr Sohn sein Schuhpaket in Händen hielt, dem Erika einen verächtlichen Blick zuwarf. Als sie drei
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