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Laienspiel

Laienspiel

Titel: Laienspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kobr Volker Klüpfel
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stattgefunden hatten.
    Ein plötzlicher Hustenanfall holte ihn wieder ganz in die Gegenwart: Er hatte sich vor dem Geschäft den letzten Landjäger zusammen mit einer dreiviertel Semmel in den Mund geschoben, nachdem seine Mutter ihn ermahnt hatte, »ein Herr« gehe niemals mit Essen in der Hand in einen Laden. Als sie ihn husten hörte, seufzte sie und reichte ihm »das Trinken«, wie sie immer sagte.
    »Wir holen am besten gleich eine Verkäuferin«, schlug Erika vor, die das demonstrative Bemuttern ihres Gatten nicht ausstehen konnte. »Wir haben nicht so viel Zeit, da braucht es schon eine Fachkraft.«
    Mutter Kluftinger nickte zustimmend.
    Der Kommissar jedoch rief mit vollem Mund aufgeregt etwas, das sich anhörte wie »Der Kaiser hat jetzt eine Gnu-Farm«, worauf ihn Erika kurz anblicke und sich ohne Nachfrage auf den Weg machte, um die besagte Fachkraft zu suchen. Ihr Mann war sicher, dass sie sehr wohl verstanden hatte, dass er sich erst ein wenig umschauen wollte.
    Die angekündigte Verkäuferin kam bereits zu ihnen – zu Kluftingers noch größerem Verdruss in Gestalt eines untersetzten Mannes Ende fünfzig.
    »So, der Herr, womit kann ich dienen?«
    »Der Junge braucht Schuhe«, antwortete seine Mutter, als verkünde sie eines der zehn Gebote. Der Mann sah sie stirnrunzelnd an. »Die Kinder machen einen Tanzkurs, und da braucht er ein gutes Paar mit Ledersohle. Bequem müssen sie halt sein, er hat ja ein bissle einen breiten …«
    »Bequem ist ja schön und gut. Aber die Optik ist auch wichtig«, unterbrach sie Erika.
    Hedwig Kluftingers Stirn bewölkte sich. »Du weißt doch, dass der Junge einen breiten Vorfuß und Hammerzehen hat.« Und wieder zum Verkäufer gewandt: »Ach, und atmen müssen sie, die Schuhe. Bei den Schweißfüßen, die der Junge hat. Seine Gesundheit ist doch wichtiger als das Aussehen.«
    Erika biss die Zähne zusammen. Dass sie keine körperliche Gewalt angewandt hatte, um ihre Schwiegermutter am Mitkommen zu hindern, rechnete sie sich nun als Fehler an. Schließlich hatte sie es allein schon schwer genug, ihrem Mann zu einem einigermaßen adretten Auftreten zu verhelfen. Und jetzt erzählte seine Mutter freimütig von seinen Fußdeformationen. Wenigstens hatte sie den immer wiederkehrenden Fußpilz nicht …
    »Von diesen Plastikschuhen hat er damals auch den Pilz bekommen«, tönte Mutter Kluftinger, und der Verkäufer nickte verständnisvoll.
    Erika blickte ihren Mann scharf an. Ihr schien die Sache nicht weniger peinlich zu sein als ihm. Aber schließlich hatte sie seine Mutter ja angeschleppt. Seufzend zuckte er die Achseln. Die ganze Situation erinnerte ihn an früher, wenn seine Mutter beim Kleidungskauf attraktiven jungen Verkäuferinnen erklärte, dass ihr »Bub« keinesfalls Synthetikfasern tragen könne – wegen des unangenehmen Schweißgeruchs, zu dem er neige, und wegen des Ausschlags, den er so schnell bekomme.
    »Schön, ich würde sagen, ich bringe ihm einfach mal ein paar Modelle aus dem Lager. Dann kann ich mir auch ein Bild von der Fußform machen«, sagte der Verkäufer zu Kluftingers Mutter. Heute hatten offensichtlich alle beschlossen, über ihn, statt mit ihm zu reden.
    »Größe?«, fragte er an Kluftingers Mutter gewandt.
    »Dreiundvierzig«, kam es vom Kommissar wie aus der Pistole geschossen.
    »Zweiundvierzig«, fügte seine Mutter an.
    »Einhalb«, schloss Erika.
    Der Verkäufer, dessen Namensschild ihn als »H. Sigel« auswies, woraus nicht klar hervorging, ob das H. für seinen Vornamen oder für die Anrede »Herr« stand, verschwand, um eine Minute später mit drei Schuhkartons in Größe Zweiundvierzigzweidrittel zurückzukehren.
    »So, dann machen wir uns mal ans Probieren, mein Herr!«, tönte der Verkäufer betont fröhlich und zog sich einen der Hocker mit Probierbrett heran, die es nur noch in alteingesessenen Schuhläden gab.
    Kluftinger hatte mittlerweile auf einer Bank Platz genommen und machte sich nach dieser Aufforderung missmutig daran, seine Haferlschuhe auszuziehen. Ganz zum Missfallen der beiden Damen ohne vorher die Schnürsenkel zu öffnen. Als er sein Schuhwerk abgelegt hatte, starrte Erika mit großen Augen auf die lodengrünen, selbst gestrickten Wollsocken. Als sie seltsam zu zischen begann, sah Kluftinger zu ihr auf. Er verstand nicht. Er trug immer Selbstgestrickte, weil die den Schweiß aufsaugten, und die Farben suchte Erika im Wollladen selbst aus. Was also war ihr Problem? Er wollte sie gerade fragen, als er selbst

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