Laienspiel
Kluftinger nahm zufrieden wahr, dass sie dieselben Fragen stellte, die auch ihm in den Sinn kamen.
»Ich habe mir auch gedacht, dass das vielleicht das normale Ende einer Beziehung sein könnte. Aber als sie dann gemeinsam hier aufgekreuzt sind … Tobi und immer ein anderer Aufpasser –, da war mir alles klar. Ich hätte da wirklich die Notbremse ziehen müssen. Am Ende durfte er nur noch am Tisch sitzen, wenn ich auf dem Sofa Platz genommen hatte. Können Sie sich vorstellen, wie bizarr das ist? Und dass man so etwas freiwillig tut?«
Kluftinger wollte gerade nachhaken, wie genau sie die Frage denn meine, als es an der Tür klingelte. Ohne zu zögern erhob sich Franziska Riedle.
»Erwarten Sie Besuch?«, fragte die Lahm nach. Frau Riedle schüttelte nur den Kopf, hob die Schultern und sagte: »Nein. Aber auch Sie habe ich ja nicht erwartet.«
Kluftinger und seine Kollegin hörten, wie der Schlüssel, der von innen steckte, im Schloss gedreht wurde, dann das Öffnen der Tür. Der Kommissar war gespannt, wer es sein könnte, er tippte innerlich auf den Staubsaugervertreter. Manchmal würzte er sein Leben mit spontanen Ratespielen. Da beendete ein erstickter Hilfeschrei abrupt sein mentales Quiz.
Sofort sprang er auf und rannte erschrocken in den Flur, die Lahm hinter ihm her.
Kluftinger erkannte den Mann, der Franziska Riedle da festhielt und ihr den Mund zudrückte, sofort. Für einen Augenblick schien der wie gelähmt, als er ihn erblickte, dann löste er sich aus seiner Erstarrung, ließ sein Opfer los und rannte durch die noch offen stehende Wohnungstür in den Hausgang.
Marlene Lahm lief los, und Kluftinger rannte hinter ihr und dem Mann her, den er gestern bereits verfolgt hatte und der nun wieder drauf und dran war, ihm zu entwischen: Alii Hamadoni.
Marlene Lahm war deutlich jünger als der Kommissar, und, was entscheidend war, sie war trainiert. So blieb er immer weiter zurück, während sie aufholte. Aber was, wenn sie ihn erwischen würde? Hamadoni würde sicher Kleinholz aus der zierlichen Frau machen. Kluftinger musste sich also ins Zeug legen, um ihr zu Hilfe kommen. Doch als er den letzten Treppenabsatz herunterkeuchte, sah er gerade noch, wie die Kollegin Hamadoni von hinten wie eine Raubkatze ansprang und ihn damit zu Fall brachte.
Der Kommissar zog seine Waffe, doch seine Hilfe war keineswegs vonnöten: Scheinbar ohne größere Anstrengungen bog die Frau, auf Hamadoni kniend, dessen Hand auf den Rücken und ließ trotz heftiger Gegenwehr nicht von ihm ab. Sie schaffte es sogar noch, einen Kabelbinder aus Plastik aus ihrer Hosentasche zu holen. Kluftinger hatte schon gehört, dass die Polizei einiger Bundesländer diese Einweghandschellen einsetzte, die man in Bayern bislang nur aus amerikanischen Filmen und Kluftinger als etwas kleinere Ausführung aus seinem Werkzeugkasten kannte.
Binnen höchstens einer Minute hatte die Frau das geschafft, woran er und Bydlinski am Vortag so kläglich gescheitert waren: Der Flüchtende lag fest verschnürt auf dem Bauch im Treppenhaus. Auch wenn es ihm nicht leichtfiel … er zog innerlich den Hut vor dieser Frau und war beinahe gewillt, ihren Fauxpas bei ihrem letzten Zusammentreffen im Winter zu vergessen.
Faruk Yildrim hatte nicht schlecht über das Überraschungspaket gestaunt, das er nun seit über einer Stunde in der Mangel hatte. Kluftinger und die Lahm, die auf zwei Stühlen an der Wand saßen, hatten bislang nur wenige Fragen gestellt. Das Verhör erinnerte den Kommissar auf unangenehme Weise an jenes, das sie mit Kudratov geführt hatten: Auf viele Fragen reagierte Hamadoni gar nicht, lächelte nur. Warum er vor der Polizei geflohen sei, was er bei Franziska Riedle gesucht habe, was er mit den Waffenlieferungen zu tun habe, wovon er im Moment lebe, wer seine Hintermänner seien … Mit allen Tricks, Fallen und Bluffs gelang es Yildrim nicht, ihn aus der Reserve zu locken. Doch der BKA-Mann ließ nicht locker und schien auch kaum beeindruckt, als der Tadschike in seinem erstaunlich guten Deutsch, dem man freilich einen Akzent anmerkte, Yildrim grinsend dazu aufforderte, ihn doch endlich gehen zu lassen, er müsse es wie bei den unzähligen anderen Malen eh tun, er sei ihm einfach nicht gewachsen. Yildrim blieb erstaunlich ruhig.
Kluftinger versuchte weiterhin angestrengt, dem Verhör zu folgen, doch bisweilen übermannte ihn der Sekundenschlaf und schließlich döste er kurz weg.
»Reißen Sie sich endlich zusammen, und konzentrieren Sie
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