Lakritze - Thueringen Krimi
Blödsinn! Ein Mann, der so warm und liebevoll lachen konnte, war kein Mörder. Lakritze hin oder her, es bewies nicht das Geringste. Es gab schließlich Millionen von Menschen, die solche Lutschbonbons unwiderstehlich fanden.
Sie trat ans Fenster und schaute hinaus. Unten im Hof karrte Knubbel schon wieder den Mist aus den Kaninchenboxen auf einen Haufen. Andere mochten die Ställe einmal die Woche säubern, Knubbel nahm sie sich täglich vor.
Die Sonne brannte auf den Misthaufen. Knubbel ging in den Schatten neben der Stalltür und griff zu einer Wasserflasche, die er dort offensichtlich abgestellt hatte. Er trank, stellte die Flasche zurück und zog etwas aus seiner Hosentasche.
Carla reckte den Hals, um zu erkennen, was es war. Erschrocken zuckte sie zurück. Das schwarz-weiße Papier war ihr nur zu vertraut. Lakritzbonbons.
Sie riss das Fenster auf, rief und winkte, aber Knubbel reagierte nicht. Vielleicht konnte er sie auch unten im Stall nicht hören. Sie musste zu ihm, musste Klarheit haben, ob sie richtig gesehen hatte und er tatsächlich Lakritze lutschte. Im Hinauslaufen vergaß sie, die Tür des Zimmers zu schließen. Hastig rannte sie die Treppen hinab. Als sie den Hof erreichte, konnte sie Knubbel nirgends sehen. Die Schubkarre stand verwaist am Rand des Misthaufens, daneben leuchtete das Bonbonpapier schwarz-weiß auf dem Boden. Carla bückte sich und hob es auf.
»Was machen Sie da?«, fragte eine tiefe Stimme in ihrem Rücken, und sie fuhr herum.
»Meine Güte, Knubbel. Haben Sie mich erschreckt.«
Knubbel starrte sie mit gerunzelter Stirn an. Seine buschigen Augenbrauen bildeten einen dicken Strich.
»Soll ich beim Ausmisten helfen?«, fragte Carla schnell und beglückwünschte sich im Stillen zu dem Ablenkungsmanöver.
Knubbels Augenbrauen rückten an ihren gewohnten Platz. Er lächelte. »Das ist richtig nett von Ihnen.«
Erleichtert atmete Carla auf.
Sie gingen in den Stall.
»Ich gebe Ihnen die Tiere heraus, und Sie setzen sie dort ab.« Knubbel zeigte auf einen umzäunten Bereich im Freien. Dann öffnete er die Gatter.
Carla tat wie geheißen. Kaninchen auf Kaninchen kam in das neue Quartier. Gemeinsam säuberten sie die Ställe und füllten die Wasserbehälter auf.
»Wie das duftet.« Carla verteilte das restliche Heu in den Boxen.
»Die Natur ist gut, ich liebe sie«, sagte Knubbel.
»Nur die Natur?«
»Und meine Kaninchen natürlich. Sie sind wie Kinder für mich.«
»Sie haben keine Frau, oder?«
Knubbel rümpfte die Nase. »Es hat sich nicht ergeben. Wozu auch, meine Schwester sorgt für mich.«
Eine sonderbare Einstellung. Allerdings kam es gerade ihr am wenigsten zu, an Knubbels Auffassung herumzumäkeln. Sie selbst hatte sich schließlich auch bis vor Kurzem davor gescheut, zu heiraten und Kinder zu bekommen.
»Mögen Sie Süßes?«, fragte sie.
»Klar, wer nicht?«
Ich zum Beispiel, dachte Carla. Sie holte das zusammengeknüllte Bonbonpapier aus der Hosentasche und reichte es ihm. »Das haben Sie fallen lassen.«
Knubbel wich zurück. »Sie irren sich, das ist nicht von mir.«
»Es lag neben der Karre, wo Sie gearbeitet haben. Ich habe es aufgehoben.«
Unvermittelt entriss Knubbel ihr das klebrige Papier. »Das ist nicht meines.« Er warf es in einen Abfallbehälter, der hinter der Stalltür stand. Im nächsten Augenblick lag der an der Seite lehnende Spaten in Knubbels Hand. Das Blatt fuhr wie ein Bohrhammer in den Müllbehälter. »Kauen – schauen, kauen – schauen«, murmelte er.
Carla spürte einen Kloß im Hals, sie bekam eine Gänsehaut. Knubbel musste sie vergessen haben. Er zerstampfte den Müll, als wäre es die wichtigste Sache der Welt. Sie machte einen Schritt auf ihn zu. Seine Augen waren verdreht, sodass nur das Weiße zu sehen war. Carla schnappte nach Luft, drehte sich um und floh. Das Stampfen des Spatens hämmerte dumpf über den Hof.
Ralph duckte sich hinter dem Zaun, als Carla an ihm vorbeirannte. Er hatte sie und den Bruder der Wirtin beobachtet. Eine Situation, die ihm erschreckend vertraut war. Zum Handeln war er jedoch nicht gekommen. Die Flucht von Carla hatte es verhindert. Er hatte ohnehin keine Ahnung, in welcher Form er hätte handeln sollen. Ralph hatte sich einfach treiben lassen. Wie es Jürgen ihm bei einer der letzten Sitzungen geraten hatte. »Lass dich gehen, lass das Unterbewusstsein reagieren. Irgendwann kommt die Erinnerung zurück.«
Ralph schloss die Augen. Jürgen hatte gut reden, der wusste nicht, wie es um ihn
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