Lallbacken
größten Hungerleider waren. Aber der Gedanke, mit einer Steuererhöhung für Blumen und Bilder den deutschen Staatshaushalt zu sanieren, war faszinierend.
Um der staatlichen Finanzmisere zu entfliehen, mussten zuerst einige Privilegien gestrichen werden, und zwar – wie immer – bei den Unterprivilegierten. Ein neoliberaler Philosoph aus Karlsruhe namens Peter Sloterdijk lieferte dazu den philosophischen Überbau: Er wollte den Sozialstaat am liebsten ins neunzehnte Jahrhundert zurückversetzen, in die Zeit vor Bismarcks Sozialgesetzen, als die Versorgung der Alten, Kranken und Bedürftigen noch ein Akt der Barmherzigkeit war. Sloterdijk beklagte, die staatlichen Wohlfahrtssegnungen seien ein Fluch; vor allem die Besserverdienenden hätten unter einer unerträglich hohen und sie in ihrem für die Gesellschaft segensreichen Tun massiv beeinträchtigenden Steuerlast zu leiden. Allen Ernstes forderte er, die Ausbeutung der Reichen zu beenden durch eine massive Umwertung aller Werte: »Angenommen, der moderne Staat brauchte tatsächlich genau die Summe, die er heute durch Zwangssteuern eintreibt: So soll er sie erhalten. Jedoch: Wäre es dann nicht würdevoller und sozialpsychologisch produktiver, dieselben Beiträge würden nicht durch fiskalische Zwangsabgaben aufgebracht, sondern in freiwillige Zuwendungen von aktiven Steuerbürgern an das Gemeinwesen umgewandelt?«
Also – das fehlte noch, dass das Gemeinwesen auf die Huld und Gnade des Geldadels angewiesen ist. Wenn der Philosoph auf Freiwilligkeit setzt, kriegt er eher den letzten Notgroschen einer armen Witwe als den Scheck eines fetten Pfeffersacks. Lallbacke Sloterdijk wurde zum Fernsehclown der Regierung.
Die deutsche Steuerpraxis sieht so aus: Wer Steuern zahlt, ist nicht reich genug. Und wer reich genug ist, wird mit Hilfe der Politik von Steuern verschont. Wer diese Abmachung stört, wird für verrückt erklärt und gefeuert. Das wurde beispielhaft in Hessen vorgeführt.
Steuerfahnder vom Finanzamt Frankfurt hatten für den Staat riesige Summen an hinterzogenen Steuern zurückgeholt: eine Milliarde Mark für den Bund und 250 Millionen für Hessen. Sie hatten spektakuläre Verfahren gegen Deutsche Bank, Commerzbank und deren vermögende Kundschaft eingeleitet. Die Beamten hatten getan, was die Öffentlichkeit immer wieder gefordert hatte: Banken effektiv kontrollieren, Steuerflucht von Superreichen verhindern, illegal abgezweigtes Geld zurückholen.
Aber Leute, die sich für was Besseres hielten, nahmen das krumm: Ein Commerzbank-Vorstand drohte unverhohlen, er werde sich auf höchster politischer Ebene beschweren, weil die Fahnder die Frechheit besessen hatten, auch Büros der Vorstände zu durchsuchen. Kaum zu glauben, aber den Fahndern wurde es trotz ihrer Erfolge per Amtsverfügung unmöglich gemacht, große Steuerhinterziehung weiterhin zu verfolgen; brisante Fälle wurden ihnen ohne Begründung entzogen, wer dagegen aufbegehrte, wurde gemobbt oder versetzt, und einige Hartnäckige wurden mit Hilfe des falschen Gutachtens eines mittlerweile zu einer saftigen Geldstrafe verurteilten Psychiaters als lebenslang dienstunfähig abgestempelt und zwangspensioniert. Der jüngste dieser Fahnder war 39.
Der hessische Finanzminister Karlheinz Weimar, CDU, erklärte, man habe es bei den geschassten Steuerfahndern mit Querulanten zu tun. Mit Spinnern im Ruhestand.
Nachdem die Spinner nicht mehr tätig waren, brachten 191 Fälle von Steuerhinterziehung via Liechtenstein von Kunden der Deutschen Bank, bei denen pro Fall Millionenbeträge zu erwarten waren, im Durchschnitt nur noch 208 Euro ein. Das war die offizielle Zahl des hessischen Finanzministers. Der war Mitglied und Vorsitzender mehrerer Aufsichtsräte, stellvertretender Vorsitzender des Verwaltungsrats der Landesbank Hessen-Thüringen, Träger des Bundesverdienstkreuzes, und er stand auf dem Boden des Grundgesetzes.
Laut Artikel 20 Grundgesetz ist Deutschland ein Sozialstaat. Allerdings, sagen die Finanzexperten, ist der Sozialstaat »nicht mehr finanzierbar«.
Seltsamerweise wird der Staat von vielen als diebischer Feind wahrgenommen, weil er angeblich immer mehr abgreift. Dabei privatisiert er unentwegt, denn die deutsche Wirtschaft basiert einerseits auf totaler privater Freiheit und andererseits auf absoluter staatlicher Absicherung, anzuschauen bei Energieversorgung, Verkehrsmitteln, Telekommunikation, Post, Bildung, Sicherheit, Müllabfuhr, Krankenhäusern und, wenn die Bürger nicht
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