Lallbacken
Befragten kannten Wirtschaftsminister Michael Glos nicht. Die übrigen zwölf Prozent waren sicher, ihn bei »Tiere vor der Kamera« gesehen zu haben. Glos sprach immer möglichst langsam, damit er sich selbst folgen konnte und die Worte nicht seine Textlücken überholten. Michael Glos, der als Einziger in der gesamten deutschen Wirtschaft nicht wusste, dass er zu viel Luft im Kopf hatte, verbreitete voller Stolz: »Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie hat die Zuständigkeit für die gesetzliche Zeit vom Bundesministerium des Innern übernommen.« Wenn ein Mann wie Glos meinte, die Zuständigkeit für die gesetzliche Zeit zu haben, hielt er sich für den Herrn des Universums. Ausgerechnet Glos, der Terror des Mittelmaßes, das Debakel der Talentlosigkeit, die Tragödie eines Kleindarstellers.
Dass Glos von nichts eine Ahnung hatte, wusste die Welt, und ausgerechnet Glos wollte dem Land sagen, was die Glocke geschlagen hatte. So verkündete er, Grund für die Preissteigerungen bei Milch und Milchprodukten sei die Tatsache, dass die Chinesen plötzlich ganz wild auf Milch waren. Das verwunderte viele, vor allem Chinesen, denn die vertrugen gar keine Milch, weil ihnen ein Abbauenzym namens Laktase fehlte.
Gab es für die Deutschen eine Möglichkeit, sich dagegen zu wehren, dass die Chinesen trotz nachfolgender Bauchschmerzen und Übelkeit die gute deutsche Milch einfach so wegsoffen? Ja! Die Deutschen mussten nur endlich damit anfangen, Hunde zu essen. Dann würde der Kilopreis für Hund in China ins Unbezahlbare steigen.
Glos war wirklich immer für einen fundamentalen Schwachsinn gut. Noch auf der Oppositionsbank hatte er, an den Kanzler gewandt, ins Plenum gerufen: »Es wird Ihnen in den kommenden Monaten nicht gelingen, Ihre Fehlleistungen unter den Teppich des Terrorismus zu kehren.« Und so ist es auch kein Wunder, dass Lallbacke Glos einen Verein der Verfolgten des Grünenregimes gründete. Für ihn waren Jürgen Trittin und Joseph Martin Fischer »Ökostalinisten«, und deswegen plädierte Glos dafür, den 17. Juni als Gedenktag für die Opfer der Grünenherrschaft neu zu beleben. Gerade die junge Generation müsse sich stets an die dunklen Stunden der Diktatur unter Joschif Dschugaschwili Trittiniowitsch erinnern, an die Schauprozesse gegen Windradgegner, an die Folterkeller im Greenpeace-Gulag, an die Millionen Autofahrer, die spurlos in stillgelegten AKWs verschwanden, an die Massenaufmärsche schwer bewaffneter Feministenbrigaden und an die brutale Umsiedlung unbescholtener bayerischer Nationalsozialisten vom Starnberger See ins eisige Mecklenburg-Vorpommern. Durchsetzen ließ sich dieser Gedenktag nicht. Nicht mal in Prichsenstadt im schönen Frankenland, wo Glos’ elterliche Mühle stand.
Eines Tages dann bat Lallbacke Glos völlig überraschend schriftlich um seine Entlassung. Das war, so hieß es, seine erste Amtshandlung überhaupt. Die Kanzlerin zeigte sich erstaunt, dass Glos ein Ministeramt bekleidet hatte, sie habe ihn ja leider nie kennengelernt. Innenminister Schäuble beauftragte das BKA, herauszufinden, welches Ministeramt dieser Herr Glos bekleidet hatte, aber die Nachforschungen blieben ohne Ergebnis. In einem Interview bekannte Glos: »Ich wusste nicht mal, wo genau dieses Wirtschaftsministerium stand, es hat mich auch nie interessiert. Und ich hatte kaum eine Ahnung davon, welches die Aufgaben des Ministeriums sein könnten.« Seit seiner Ruhigstellung tritt Lallbacke Glos gerne bei Jubiläumsfeiern, Schützenfesten und Wurstmärkten als Wolpertinger auf.
Nachfolger von Lallbacke Glos war Guttenberg. Der trat in Erscheinung. Eingehüllt in güldene Cashmere-Seide-Pullis, fein abgestimmt auf die malvenfarbenen Socken, in samtenen Ermenegildo-Zegna-Hosen, bewies der von seinen Fans und Groupies liebevoll Gutti genannte, auch als fränkischer Plattitüden-Obama bekannte Politiker stets Stil. Sein Auftreten, für seine Anhänger eine Epiphanie, war seine Kernkompetenz. Man sprach von einem inneren Leuchten, als habe er ein Bündel brennende Altarkerzen verschluckt. Guttenberg, der auch als beliebtester SPD-Minister-Politiker galt und dessen Arbeit als CSU-Kanzler sogar von der FDP positiv bewertet wurde, verkörperte die tief verwurzelte Sehnsucht vieler Menschen nach einem gütigen, gerechten, vertrauenerweckenden Herrscher, den sie guten Gewissens anhimmeln konnten. Den Deutschen war der Heiland erschienen. So jemand wurde nicht gewählt, sondern gekrönt.
Das
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