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Lallbacken

Lallbacken

Titel: Lallbacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Venske
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schmunzelten über die Dreistigkeiten, die Clement in seiner Broschüre schilderte.
    Da war der pfiffige Mann aus Mannheim, der, um eine eheähnliche Gemeinschaft mit einer Hartz-IV-Empfängerin zu verschleiern, bei fast null Grad nackt auf den Balkon flüchtete, als die Kontrolleure vom Arbeitsamt klingelten. Nachdem sie ihn dort entdeckt hatten, sagte er: »Ich bin Frischluftfanatiker.«
    Oder die ausgeschlafene Frau, die behauptete, ihr Lebensgefährte sei nur ein Mitbewohner, der auf einer Couch im Kinderzimmer schlafen würde. Bei einem Besuch der Arbeitsagentur stand der Mann aber mit entblößtem Oberkörper im Flur und hatte noch die Saugnäpfe eines Medizingerätes auf der Brust kleben. Der dazugehörende Apparat stand neben dem Ehebett.
    Dann der clevere Libanese, der Hartz IV beantragte, obwohl er ein bei seinen Landsleuten bekannter Sänger war, der gegen Honorar ständig bei Festen und Hochzeiten auftrat, ein BMW-Cabriolet fuhr und sogar einen Manager hatte.
    Und schließlich die angeblich alleinlebende Frau, deren Doppelbett auf beiden Seiten eine Schlafkuhle hatte. Ihre raffinierte Erklärung: »Das stammt von meiner Nachbarin, die war gestern zum Bibel-Lesen da.«
    Also – auf die Dreistigkeit ein dreifaches Hipphipphurra, Hipphipphurra, Hipphipphurra.
    Auf der anderen Seite stellte Bundestagspräsident Norbert Lammert die verschärften Auskunftspflichten für Abgeordnete über ihre Nebeneinkünfte energisch in Frage. Die neu gefassten Verhaltensrichtlinien seien »nicht mit der notwendigen Sorgfalt zu Ende diskutiert« worden, sagte er. Und neben dem berechtigten Anspruch der Öffentlichkeit auf Offenlegung von nebenberuflichen Aktivitäten gebe es auch für Parlamentarier »schützenswerte Grundrechte«.
    Offenbar war dieser führende Volksvertreter der Meinung, Arbeitslosen und Hartz-IV-Empfängern seien unangemeldete Hausbesuche, Spitzeleien und peinlichste Selbstauskünfte zuzumuten, es sei aber unangemessen, stünde bei arrivierten Parteifunktionären plötzlich der Souverän vor der Tür und würde fragen, wer ihnen die Nebenverdienste finanzierte und ob sie auch wirklich den ganzen Tag zum Wohle des Volkes tätig wären, anderenfalls man selbstverständlich die Diäten kürzen müsste wegen mangelnder Leistungsbereitschaft.
    Superminister Clement war jedenfalls hellauf begeistert von seinem Superfragebogen. Sogar an Leute, die nicht mehr richtig gucken konnten, hatte er gedacht: Nach dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz durften Beihilfen für neue Brillen nur noch gezahlt werden, wenn die Bedürftigen unter achtzehn Jahre alt waren oder die Restsehkraft unter dreißig Prozent lag. Das hieß, ein halbblinder Sozialhilfeempfänger musste sich nicht um eine Arbeitsstelle bemühen, weil er mit seinen 31 Prozent Sehkraft sowieso weder Stellenanzeigen lesen noch Bewerbungen schreiben konnte. Er konnte demnach nicht eigene Bemühungen um einen Job nachweisen, um einen Anspruch auf das Arbeitslosengeld II anzumelden. Da hatte er dann die große Chance, sich für gemeinnützige Dienste verwenden zu lassen, als Hundekotbeseitiger zum Beispiel, denn das konnte er auch mit seiner Restsehkraft schaffen, am besten mit Hilfe eines weißen Stockes.
    Nach Auskunft des Wirtschaftsministeriums stand fest: Ein Mensch, der täglich drei Stunden arbeiten konnte, galt als arbeitsfähig. Das hieß, Kranke konnten durchaus als Komparsen in Fernseh-Krankenhausserien arbeiten – sie mussten nur drei Stunden lang im Flur aufgebahrt rumliegen. Darüber hinaus gab es eine eindrucksvolle Serie von Vorschlägen zur kreativen Verwendung von Langzeitarbeitslosen: »Schneeschippen« empfahl Guido Westerwelle von der FDP, der vermutlich annahm, alle Menschen hätten, genau wie er, eine Heizdecke im Kopf, »in Altenheimen Bücher vorlesen« riet Hannelore Kraft von der SPD, Claudia Hämmerling von den Grünen forderte, Hartz-IV-Empfänger sollten »überprüfen, ob die Hundebesitzer die Haufen ihrer Tiere auflesen und entsorgen«. Nur überprüfen? Warum nicht gleich selbst wegräumen? Oder, besser noch, aufessen?
    Es gab auch noch andere Einsatzmöglichkeiten, als Türstopper etwa oder als Fußabstreifer, als Wagenheber oder Maultaschenfalter. Halbtagstätigkeiten boten sich an – vormittags öffentliche Bedürfnisanstalten reinigen, nachmittags Pflegedienste im Kinderkrankenhaus, aber dazwischen nicht das Händewaschen vergessen! Westerwelle meinte, die 35-Stunden-Woche sei okay, aber nur für Halbtagsjobs. Wie? Wenn der

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