Lallbacken
Rentner auf die hohe Kante legte, musste sich jeden Unsinn aus den Fingern saugen.
Aber der Einzige, der sich zum Thema Rente wirklich kompetent äußerte, war eben doch Franz Müntefering. Hölzerne Unbeholfenheit, gepaart mit charmanter Amokschwafelei, zeichnete ihn aus, wenn er die Bundespressekonferenz belehrte: »Deutschland muss sich neu aufstellen. Deutschland muss wissen, dass wir nicht automatisch an der richtigen Krümmung des Flusses liegen, sondern dass wir uns anstrengen müssen, um vorne zu bleiben.«
Ein Orakel. Lag Deutschland denn an der falschen Krümmung des Flusses? Wer hatte es da aufgestellt? Wo war denn die richtige Krümmung? Legte Deutschland sich dort automatisch nieder? Oder musste man Deutschland am Fluss entlang rauf und runter verschieben? Und wieso war man »vorne,« wenn der Fluss sich krümmte? Und warum musste man das alles wissen?
Gewiss, als Sauerländer hatte der Minister es schwer, sich in der Welt zurechtzufinden, aber musste er wirklich Reden unterhalb jeder Vorstellungsmöglichkeit halten? Münte, alte Lallbacke, halt doch einfach die Klappe, wenn du deine Denkpausen nicht plausibel verklausulieren kannst.
Aber »der Fluss« ließ Müntefering keine Ruhe: »Bis Ende des Jahres werden alle am Ufer des Flusses sein, der Erneuerung heißt.« Da konnte man wirklich gespannt sein – denn momentan befanden sich die meisten noch an der Quelle des Flusses, der Aufschwung hieß und bergauf zu den Gestaden des Löschteiches floss, der Rundumversorgung genannt wurde. Der Fluss, der Erneuerung hieß, war ein mickriges Bächlein, das versickerte irgendwo in der Wüste, die man Politgeblubber nannte.
Als trotz all der goldenen Worte die Umfrageergebnisse für die SPD saumäßig ausfielen, kam Lallbacke Müntefering tatsächlich auf den Gedanken: »Wir müssen die Ziele unserer Politik erkennbar machen.« Davon konnte man ihm aber auch nur dringend abraten.
Ausgerechnet Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger, intellektuell vermutlich eher einem Knöterich verwandt, eilte Franz Müntefering beim Thema Renten zu Hilfe. Auf dem CDU-Bezirksparteitag in Laupheim hielt Oettinger eine Rede, in der er den Standpunkt vertrat, dass ältere Arbeitnehmer auf Gehalt verzichten sollten, weil die Leistungsfähigkeit ab vierzig Jahren abnehme. Oettinger war da 52 Jahre alt. Mal angenommen, Herrn Oettingers These entsprach der Wahrheit: Dann ging seine Leistungsfähigkeit schon seit zwölf langen Jahren rapide den Bach runter. Das merkte man ihm auch an: Im Grunde genommen war er nur noch in der Lage, auf Bezirksparteitagen in Laupheim Reden zu halten.
Lallbacke Oettinger kam als Ministerpräsident mit allem Drum und Dran auf beinahe 18 000 Euro im Monat. Damit war er im Sinne seiner These heillos überbezahlt. Wie im übrigen auch Franz Müntefering, ganz zu schweigen vom Papst, der in seinem Alter leistungsunfähiger kaum noch werden konnte. Oettingers These zu Ende gedacht – da stellte sich die Frage, wofür ältere Arbeitnehmer überhaupt noch Geld bekommen sollten. Die Leistung war ja von einem gewissen Alter an als Leistung gar nicht mehr kenntlich. Dafür kein Geld zu bezahlen, das war nur gerecht und logisch.
Was das wiederum für Günther Oettinger selbst bedeutete, das musste man ihm bei Gelegenheit in aller Ruhe und mit viel Geduld erklären. Er selbst war ja vermutlich nicht mehr in der Lage, diese Überlegung selbständig zu Ende zu führen. Das Einzige, was Oettinger noch zu leisten in der Lage war: Gehaltsverzicht, Rücktritt, Altersheim und Warten auf die Rente. Da fehlte eigentlich nur noch, dass Franz Müntefering vorschlug, Oettinger und alle anderen Senioren auch möglichst rasch in die Haushalte ihrer Kinder zu integrieren.
Dann musste die SPD den Posten von Müntefering neu besetzen, denn Lallbacke Müntefering, der Zeit seines Lebens eine strikte Trennung von Amt und Gehirn befürwortete, nahm seinen Abschied. Seit 1789 hatte er ununterbrochen für die SPD im Parlament gesessen, er hatte aus dem Arbeiterturnverein SPD eine Regierungsbeteiligungs-GmbH & Co KG entwickelt. Müntefering trat aus zwei Gründen zurück: erstens, um noch ein paar Monate in den Genuss der verlängerten Zahlung von ALG 1 zu kommen, und zweitens, weil er befürchtete, es könne herauskommen, dass er schon seit Jahren Mitglied der CDU war.
Sein Nachfolger wurde Olaf Scholz. Der hatte schon als SPD-Generalsekretär Tausenden von Langzeitarbeitslosen Mut gemacht, indem er ihnen das
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