Lallbacken
Gefühl vermittelte: Wenn der es bis da oben hin schafft, dann schaffe ich es auch. Das war natürlich ein Irrtum, denn Generalsekretär Scholz war bildungsmäßig geradezu überqualifiziert. So antwortete er auf die Frage, ob er an Rücktritt gedacht habe: »Das ist eine autochthone Spekulation.« Hä?
»Autochthon« heißt laut Duden-Fremdwörterbuch eingeboren, am Fundort entstanden, Ureinwohner. Möglicherweise spekulierten die Ureinwohner der SPD, Altgriechisch zur Leitsprache ihrer Parteitage zu wählen.
Der Grund, warum Olaf Scholz zum Bundesminister für Arbeit und Soziales berufen wurde, war nicht seine Bildung, sondern die Erwartung, dass die Werktätigen dem Zauber seines Kopfschmuckes erliegen könnten. So eine Frisur wie bei Olaf Scholz hatte man in der deutschen Politik noch nie gesehen. Man konnte auch nicht sicher sein, ob es wirklich seine Haare waren, ob es sich um Algenbewuchs oder um den Inhalt eines Flusensiebs handelte. Vom Kopf von Olaf Scholz ging die Botschaft aus: Wir müssen alle Opfer bringen, und die SPD hat schon mal vorgelegt und als erstes das Grundrecht auf eine Frisur geopfert.
Olaf Scholz war einer der größten Revolutionäre des 21. Jahrhunderts: Er war Anführer und Chefideologe des Kampfes für eine gewaltige Umverteilung des Reichtums von oben nach unten. Er – und nur er allein – nannte das »Verteilungsgerechtigkeit«. Aber auch von »Teilhabegerechtigkeit« sprach er gelegentlich, obwohl man ihn wegen Misshandlung der deutschen Sprache eigentlich hätte ins Gefängnis stecken müssen. Aber dieses Wort, »Teilhabegerechtigkeit«, das hatte einen klassischen Sound, an dem man sofort den sozialdemokratischen Spitzenfunktionär erkannte wie ein Schwein am Grunzen.
Der Scholzomat, wie man ihn bewundernd nannte, erklärte auf die Frage nach Gehalt und Dauerhaftigkeit der rot-grünen Politik: »Ich will nicht die Theorie entwickeln, dass alles, was wir schon mal gesagt haben, gut zueinander passt.« Logisch. Lallbacke Scholz konnte ja wohl nur schlecht die Theorie entwickeln, dass nichts, was sie schon mal gesagt hatten, noch wesentlich besser nicht zueinander passte.
Olaf Scholz durfte alles sagen, was ihn weder in Widerspruch zu Schröder noch zu Müntefering brachte. Also nichts. Aber das machte er ganz ausgezeichnet. Wer allerdings den Herren Schröder, Scholz, Müntefering & Co mit Argumenten entgegentrat, galt als unmodern, ideologisch verbohrt, traditionalistisch, fundamentalistisch und war kein ernstzunehmender Gesprächspartner, sondern ein Gewerkschafter. Die Gewerkschaften galten als Reformbremse, weil sie versuchten, sich an das zu klammern, was sie in den letzten Jahrzehnten errungen und erkämpft hatten. Das machte man ja auch nicht. Dankenswerterweise stellten die Gewerkschaften wenigstens den Kapitalismus nicht zur Disposition oder sogar die Systemfrage.
Olaf Scholz war ein bedeutender Denker und engagierter Streiter für eine menschenwürdige Gestaltung der Zukunft. Sein eindringlichster und geradezu prophetischer Text, der der SPD das verdiente Denkmal setzte, stammte aus dem Jahre 1983. Veröffentlicht wurde dieser Text in der Zeitschrift Sozialistische Politik und Wirtschaft . Es war das Dokument einer luziden Selbsterkenntnis, und nach der Lektüre wurde einem klar, man durfte problemlos jeder Verbrecherbande angehört haben, wenn man nur hinterher der CDU beitrat:
»In keiner Phase der sozialdemokratischen Regierungsverantwortung (…) wurde von der SPD an der Entwicklung von Klassenbewusstsein gearbeitet. Vielmehr förderte die Mehrheitssozialdemokratie Illusionen in der Bevölkerung über Krisenbewältigung und Reformpolitik im Kapitalismus. Die Partei stellte den nackten Machterhalt über jede inhaltlich bestimmte Auseinandersetzung mit Kapitalinteressen und deren schärfste politische Verfechter CDU/CSU/ FDP. Außerparlamentarische Mobilisierungsarbeit wurde zum Tabu für die ›staatstragende‹ SPD. Die Distanz zu Forderungen der Gewerkschaften vergrößerte sich zusehends, die Regierungspolitik (…) bot lediglich eine abgemilderte Variante der CDU-Konzepte. Sie zerstörte die Identität der SPD als Partei der Arbeitnehmer. (…) Der Verzicht auf jede Konfrontation mit dem Kapital hat sich für die SPD verheerend ausgewirkt. Er hat das Bewusstsein der sozialen Basis der Partei, der Lohnabhängigen, schwer deformiert, er hat die eigene Parteibasis kampfunfähig gemacht und entmutigt.«
Lallbacke Scholz ist der SPD immer treu geblieben, er hing
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