Lallbacken
inklusive Geiselnahme und finalem Blutbad voraus. Daraus konnte man schließen: Wenn die deutschen Soldaten am Hindukusch blieben und nicht endlich den Befehl zu kämpfen und zu töten verweigerten, waren sie eine Gefahr für Deutschland, denn sie lockten, wie der Innenminister richtig erkannt hatte, aber so nicht auszusprechen wagte, den Terror in ihre Heimat. Diese Soldaten waren demnach Feinde ihres eigenen Landes.
Nur Lallbacke Jung wiegelte bis zum Schluss ab: »Das ist kein Krieg, das ist eine asymmetrische Bedrohungslage. Deshalb sollten wir eine solche Wortwahl auch nicht gebrauchen.« Asymmetrische Bedrohungslage? Das war wahrscheinlich eine Anspielung auf seine Ehe.
Zu allem Überfluss hat dieser Minister mit der asymmetrischen Bedrohungslage im Hirn in Berlin auch noch den Grundstein für ein Ehrenmal gelegt, vermutlich in der Annahme, dass ein Soldat sich viel lieber eine Kugel verpassen ließ, wenn er sicher sein konnte, dass sein Name, vielleicht sogar vergoldet, nach seinem Heldentod auf einer Gedenktafel eingraviert war, und darüber stand: Gefallen im Auftrag der UNO bei einer asymmetrischen Bedrohungslage. Anregungen, als Präventivmaßnahme Kopien des Ehrenmals vor alle Kreiswehrersatzämter zu postieren und daneben ein Mahnmal für die von der Bundeswehr Getöteten mit genügend Platz für die Namen der noch zu erwartenden Opfer, lehnte der Minister ab.
Lallbacke Jung, der peinlichste und stümperhafteste Provinzpolitiker aller Zeiten, wurde zurückgetreten – aber nicht, weil er das Massaker von Kundus völlig in Ordnung fand, sondern weil er das wenige, was er wusste, nicht ordnungsgemäß weitererzählt hatte.
Seltsamerweise waren die Toten von Kundus kein Grund für die deutsche Bevölkerung, sich übermäßig aufzuregen. Die Bombardierung war kein Skandal in der Öffentlichkeit. Man diskutierte lieber darüber, wer wen falsch oder gar nicht informiert hatte. Guttenberg, rasch vom Wirtschafts- zum Verteidigungsminister umgeschult und damit hauptberuflich Beauftragter für kriegsähnliche Zustände, wie es im öffentlichen Sprachgebrauch hieß, äußerte subjektiv volles Verständnis für Oberst Klein, der objektiv unangemessen gehandelt habe, aber subjektiv von der objektiven Richtigkeit seines subjektiv richtigen Handelns überzeugt gewesen sei.
Guttenberg, der meist überschätzte Adelige seit Kaiser Wilhelm II. und der überflüssigste noch dazu, hatte zunächst nur ein Bestreben: sich unbeschädigt im Nebel der allgemeinen Informationsdefizite zu verkrümeln. Aber er leistete ein enormes Pensum. Er feuerte Generäle und Staatssekretäre, musterte Segelschiffkapitäne ab, öffnete Feldpostbriefe, inspizierte Generalinspekteure und machte sich an die Abschaffung der Wehrpflicht. Er hetzte hin und her zwischen Ahnungslosigkeit und Fehlinformation, zwischen Vertuschung und Aufklärung, zwischen Bildzeitung und Parlament, bis niemand mehr Auftuschung und Verklärung unterscheiden konnte.
Dennoch fand Guttenberg Zeit, mit Gattin Stephanie, dem GALA-Klischee der Bundesrepublik Deutschland, und dem Fernsehmoderator Johannes B. Kerner einen Ausflug nach Afghanistan zu machen. Die Taliban zeigten sich von dem Besuch der Ministergattin schwer begeistert. Für die Gotteskrieger war Stephanies Kinder-Porno-Sendung »Tatort Internet« auf RTL 2 das beliebteste Fernsehprogramm. Johannes B. Kerner fanden sie nicht so toll. Ein Taliban-Obermufti meinte, wenn die Guttenbergs das nächste Mal wiederkämen, sollten sie Florian Silbereisen mitbringen, dann gäb’s einen zünftigen Beschneidungsstadl. Das hat die Stephanie zugesagt, und Guttenberg zog das Fazit, der Besuch solle zeigen, »dass der Einsatz der Soldaten nicht nur politisch getragen wird, sondern darüber hinaus«. Niemand konnte sich erklären, was er damit wohl gemeint hatte: Er trug die politische Verantwortung, und seine Frau schleppte den Rest? Weil es ihr an politischem Verstand mangelte? Wenn das ein Grund dafür wäre, jemanden nach Afghanistan mitzunehmen, dann müssten aber viele Soldaten ihre Ehefrauen mitnehmen.
Als ministerähnlicher Besucher mit der Zuständigkeit für kriegsähnliche Zustände durfte Guttenberg selbstverständlich kompetenzähnliche Formulierungen benutzen, ohne entlassungsähnliche Konsequenzen befürchten zu müssen. Immerhin gab er zu, umgangssprachlich könne man das, was in Afghanistan geschah, auch mal Krieg nennen.
Guttenberg war ein Politiker, bei dem alles, was er sagte, folgenlos gestrichen
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