Lamarchos
Hand in die Schlinge und ließ Sharl mit ihren Fingern spielen; so verlor sie die Erschütterung ihrer Selbstachtung im Strom der warmen Zärtlichkeit, die sie empfand, sooft sie ihren Sohn berührte.
Stavver blieb vor dem Tor stehen, runzelte wieder die Stirn, als die Lamarchaner, die bereits vor ihm in der Reihe standen, beiseite traten, um die Gikena vorzulassen. Sie konnte die unterdrückte Wut in ihm spüren und sah die Muskeln seiner Kehle arbeiten, als er seine Verärgerung hinunterschluckte. Dann entschärfte sein Sinn für Humor die Situation. Er lächelte auf sie hinunter. „Hat nicht viel Sinn zu versuchen, sich unauffällig zu benehmen, nicht wahr?”
Sie zitterte vor Erleichterung und brachte ein schwaches Kichern heraus. „Nein, nicht viel.”
Zwei graue Gestalten schwangen das Stahlgitter beiseite, blieben jedoch stehen und versperrten den Durchgang zu der überdachten Passage hin, die zum Eingang des Gebäudes führte.
Stavver räusperte sich. „Ich komme, um Stein gegen Stahl zu tauschen.”
„Du hast einen Poaku?” Die Gestalt zur Linken war es, die sprach, die Stimme ein erschreckender Baß, der unter der Kapuze hervorkam.
„Poaku.” Stavver hielt den Lederbeutel hoch. „Um eine Karkesh-Klinge für meinen Sohn zu kaufen.” Er nickte lässig zu Aleytys hin.
„Das ist eine Frau.”
Aleytys spürte das Aufwallen des Lachens, das Stavver augenblicklich unterdrückte. Das Gesicht eine ernste Maske, sagte er:
„Eure Augen sind scharf, Sho Karsk.”
Sie widerstand dem Impuls, Stavver den Ellenbogen in die Rippen zu stoßen, und hob Sharl aus der Schlaufe. „Sein Sohn”, sagte sie knapp. Der Karsk nickte, der Kapuzenrand umwehte die tintenschwarze Dunkelheit, die sein Gesicht verbarg. Während sie das Baby wieder in die Schlaufe zurücklegte, drückte er auf einen Knopf und trat zur Seite. Eine dritte wallende graue Gestalt glitt durch eine Öffnung in der Wand und winkte ihnen. Sie folgte Stavver in das Gebäude hinein; hinter sich hörte sie eine männliche Stimme deutlich sagen: „Ich komme, um Stein gegen Stahl zu tauschen.”
Ihr Führer legte den Daumen seiner behandschuhten Rechten auf einen Knopf. Das schwere Tor, das den Weg versperrte, glitt lautlos in eine mindestens einen Meter dicke Wand zurück. Stavver lächelte auf ihr besorgtes Gesicht hinunter und schüttelte seinen Kopf.
Der Gang verengte sich, so daß sie hintereinander gehen mußten.
Stavvers nicht zu breite Schultern fegten beinahe beide Wände.
Aleytys trottete hinter ihm her und fühlte sich wie ein Parasit in den Eingeweiden einer großen Steinbestie. Sie hielt die Schlaufe vor sich, um zu verhindern, daß Sharls Kopf gegen die Wand stieß. Es gab keine sichtbare Beleuchtung, andererseits jedoch auch keinen Mangel an Licht. Aleytys tat das Phänomen mit einem Achselzukken ab und kräuselte die Nase; die Wände zeigten eine schreckliche, schlammbraune Farbe.
Ohne Warnung hielt Stavver an. Aleytys stolperte gegen ihn, Sharl wurde wach, wimmerte - und dann schrie er seine Furcht und seinen Ärger hinaus. Sie hob ihn an ihre Schulter, versuchte, ihn zu beruhigen; der Karsk berührte eine Drucktaste mit dem Handrücken. Er trat durch die plötzlich aufklaffende Öffnung, Stavver war dicht hinter ihm. Sie summte dem sich beruhigenden Baby mit sanfter Stimme vor, und damit war sie so beschäftigt, daß sie in den Raum getreten war, bevor sie die Veränderung ihrer Umgebung bemerkte. Das hallende Dröhnen ihrer Schritte erschreckte sie, ließ ihre Blicke hochfahren.
Der Raum sprang über ihr zu einer gewölbten Decke empor, die so hoch war, daß sie in dem eigenartigen Gewebe von Licht und Schatten verlorenging, das ihr plötzlich wie etwas absichtlich Strukturiertes vorkam, eine unerwartete Form von Kunst, von Wesen, denen es ansonsten an Ästhetik auffallend mangelte. In Nischen und auf Sokkeln liegend, schimmerten unzählige Poakus wie steinerne Seide: Topas und zinnoberrot… türkis … ebenholzschwarz … chromgrün
… umbra … die Formen ein Genuß für das Auge; verführerisch reizten sie zum Berühren.
Aleytys warf dem Lederbeutel, der an Stavvers linkem Handgelenk baumelte, einen raschen Blick zu, verspürte plötzlich eine wuchtige Besitzgier für ihren Poaku. Sie wollte den Stein an sich reißen und aus dem Gebäude hinausrennen, laufen, fliehen, den Poaku an ihre Brust pressen und davonlaufen.
Hart kämpfte sie gegen diesen Wahnsinn an und folgte Stavver; statt des Poakus hielt sie Sharl fest
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