Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lamarchos

Lamarchos

Titel: Lamarchos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
Vom Netzwerk:
müßig sein, saß zusammengesunken im Sattel, hielt sich mit beiden Händen am Sattelhorn fest, um das strapaziöse Taumeln und Schwanken der Gangart des Rotschimmels zu ertragen.
    Ins Zentrum der Horde vorgestoßen, kamen sie an einen irrwitzig breiten Wagen, dessen flacher Unterbau mit ebensolcher Irrwitzigkeit zum Boden hin, über den er kroch, durchgewölbt war. Dutzende von biegsamen Lederscharnieren stützten das Holz, jeder noch so kleine Abschnitt war auf gesonderte Räder montiert, so daß sich das Ganze wie eine vielbeinige Kreatur auf Hunderten von Rädern über das Land bewegte. Um die Seiten dieser unförmigen Konstruktion war ein Wall aus Schwertern aufgepflanzt, deren Klingen im diffusen Licht glitzerten. Und dahinter erhob sich eine rundliche Masse von der Größe eines kleinen Hügels; Pihayo-Haut umhüllte ihn, mit den Haaren gegerbt, so daß sie den Berg wie schlaffes, weißes Gras umflatterten.
    Als sie näher heranritten, säuerte der typische Gestank der Pihayos die Luft. Aleytys fragte sich, wie es der Hordenmeister fertigbrachte, den Gestank seiner Behausung zu ertragen.
    Sie zuckte zusammen, als sie an einem der letzten Wagen nahe dem großen vorbeikamen. Der düstere schwarze Wohnwagen mit seiner glitzernden goldenen und karminroten Schnörkelverzierung bestätigte zum erstenmal, daß Maissa wirklich hierhergebracht worden war. Ob sie noch am Leben war … Oder Sharl…? Sie riß ihre Gedanken davon los, als ihre Hände zu zittern begannen und Tränen, bereit zu fallen, hinter ihren Augenlidern in der Schwebe hingen. Konzentriere dich, dachte sie. Du bist eine Gikena. Du hast Macht.
    Sie richtete sich gerade auf und blickte den beiden Wachen, die den Eingang des Wagens des Meisters versperrten, kühn entgegen.
    Verschaff dir ihren Respekt, sagte sie sich. Wenigstens… Sie unterbrach die Unterhaltung, die in dem undeutlichen, nahezu unverständlichen Dialekt der Horde geführt wurde.
    „Ich bin eine Gikena.” Sie schleuderte die Worte mit einem kräftigen Überzug von Zorn, Drohung und Macht heraus, der beide Wachen sowie ihren Häscher die Münder aufsperren ließ. Sie glitt vom Pferd und schritt forsch die einfache Leiter hinauf; vor den verblüfften Wachen bleib sie stehen. „Bringt mich zum Meister.”
    5
    Der Gestank war unglaublich. Aleytys fiel es schwer zu denken, schwer, irgend etwas anderes zu tun, als so flach wie nur möglich zu atmen, während sie die Tendenz des Geruchssinnes segnete, schnell übersättigt zu werden. Sie nahm ihre Kraft zusammen, stoppte das Zittern ihrer Knie und hielt ihren Kopf aufrecht.
    Der Meister war ein bleiches Fleischgebirge und kauerte auf zahlreichen Fellen, die über der schwammigen Masse einer pflanzenähnlichen Faser ausgebreitet waren. Aleytys riß ihre Blicke zurück zum Meister, kämpfte gegen den ständigen Drang an, ihn nicht anschauen zu müssen.
    Er war nackt. Seine Männlichkeit war so ungeheuerlich, wie er selbst ungeheuerlich riesig war. Aleytys unterdrückte den Impuls, vor lauter Staunen den Mund aufzureißen, und begnügte sich damit, sich zu fragen, welche Frau diese Masse in sich aufnehmen könnte.
    Zögernd hob sie ihre Augen zu seinem Gesicht. Sein Schädel war selbst für die gewaltige Körpermasse, auf der er saß, unverhältnismäßig groß. Wenn er aufstand, mußte sein Schädel fast die Zeltdach-Kuppel streifen, wo die ächzenden Planen mit komplizierter Verknotung des rauchgeschwärzten Tauwerks zusammengebunden waren, obwohl dieser Punkt annähernd drei Meter vom schwammigen Boden entfernt war. Wahrscheinlich verläßt er dieses Zelt nie, dachte sie.
    Ahai, Madar! Nie dieses Loch verlassen können! Wieder betrachtete sie sein Gesicht, wobei ein Hauch von Mitleid den Ekel überzog, den er in ihr erweckte.
    Sein Mund war fest und zart, sogar schön, und zeigte einen starken Hang zum Lächeln. Seine Nase war wuchtig, ein langer, gerader Grat aus Knochen und Fleisch. Seine Augen, dunkel gerahmt und wohlgeformt, waren milchig weiß, ohne Iris oder Pupille, eindeutig blind, obwohl er sich allem um sich herum bewußt zu sein schien. Dieses augenlose Sehen ließ ihr Schauer über das Rückgrat rieseln, die erste Andeutung der wahren Natur des Hordenmeisters. Wenn diese Kreatur über Kräfte verfügte, die die ihren schlucken konnten … Sie dachte an das Diadem und wurde ruhig.
    Sein Haar war reines, bleiches Weiß, dicht um den massigen Schädel gelockt. Der Schädel… Er wölbte sich über dem sanften, sogar schönen

Weitere Kostenlose Bücher