Lamarchos
Gesicht… Wie die Unterseite einer umgedrehten Birne …
Das dichte, wallende Haar verdeckte einen Teil der Groteskheit seiner Form, aber nicht genug. Nicht genug.
Das Schweigen breitete sich immer weiter aus. Aleytys dachte nicht daran, sich einschüchtern zu lassen, weder von ihren eigenen Emotionen noch von der Aura dieses Mannes.
Eine dünne, magere Gestalt kam hinter dem Meister hervorgekrochen, schwang einen Weihrauchtopf, aus dessen in der Oberseite befindlichen Löchern sich schwarzer, stark riechender Rauch ergoß.
Während er eine gutturale Beschwörung murmelte, umkreiste er sie, schleuderte ihr den Rauch ins Gesicht, ließ ihn über ihre Haut wallen.
Sie stand bewegungslos da; ein höhnisches Lächeln verspottete seine Bemühungen.
Dann begann die Droge, ihre Sicht zu verwischen, ihre Sinne zu verzerren. Sie schwankte. Bemühte sich, wieder hochzukommen.
Begegnete dann dem Blick aus den glitzernden Augen des Schamanen, dessen Frettchen-Gesicht in Wolken vom Rauch der Droge gehüllt war.
Sie schloß die Augen, tastete nach dem schwarzen Strom, und als sich ihr geistiger Zugriff immer wieder auflöste, kämpfte sie gegen die Panik an. Die Angst war kalt… kalt… kalt… lähmend. Dann schaffte sie es, Vajds Friedensmandala zu formen, einfach, rein, die kreisenden Dreiecke zogen sie an und aus dem Zentrum des Grauens, bis die Furcht zurückwich, verblaßte, verschwunden war. Sie sammelte ihre Kräfte, versenkte sich in das Mandala, die stabilen, dreigezackten Formen schwammen an ihr vorbei, ruhig … glatt…
ungestört…
Entspannt, ruhig, sich gelassen ihrer Macht bewußt, tastete sie wieder in sich hinein. Das schwarze Wasser ergoß sich über sie. Mit einem Ausruf des Triumphes hob sie die Arme über den Kopf, frohlockte in dem reißenden Strom der Kraft, die ihre Haut streichelte, ihren Körper von dem schmierigen Rauch säuberte, die Droge aus ihren Adern spülte, ihren Verstand klar und scharf arbeitend zurückließ. Sie warf ihr Haar über die Schulter zurück und lachte laut. „Ich bin eine Gikena!”
Als sie den Hordenmeister mit der neuen Klarheit ihres Blickes ansah, sah sie, daß seine Fassade der Macht hohl war; ein fauliger, verwesender Geruch haftete ihr an, ein Makel von Zerfall.
Schwärmt die Horde deshalb aus, fragte sie sich. Weil der Meister stirbt? Sie schob den Gedanken beiseite, um ihm später nachzugehen.
„Ich bin eine Gikena”, wiederholte sie. Sie konzentrierte kühle, abweisende Blicke auf ihn. „Dort draußen hast du etwas, das mir gehört.”
„Alles hier gehört mir.” Der Meister sprach zum erstenmal, und seine Stimme verblüffte sie mit ihrer geschmeidigen, volltönenden Schönheit. Wenn sie die Augen schloß, konnte sie ihn groß, glorreich, sogar hübsch vor sich sehen. Grimmig starrte sie ihn an, rieb schmerzende, überschwere Brüste, um sich an den Grund ihres Hierseins zu gemahnen.
„Nein”, sagte sie fest und begegnete dem Zauber seiner Stimme mit dem ihrer eigenen Stimme. „Mein Sohn gehört dir nicht. Mein Diener gehört dir nicht. Mein Wohnwagen gehört dir nicht. Wie alles auf Lamarchos, Meister, lebst auch du im Hause der Lakoe-heai. In ihrem Namen fordere ich: Gib zurück, was mein ist.”
Die milchigen Augäpfel starrten sie an, blind, aber trotzdem übernatürlich wissend. „Schamane.”
Der böse, kleine Mann schlich um sie herum, giftige Blicke flakkerten über sie, bevor er sich umdrehte und seinen Herrn ansah.
„Was geschah mit dem Gahane-Rauch, Schamane?” Die wunderbare Stimme schlug nach der sich windenden, kleinen Kreatur aus.
Aleytys schloß die Augen und ließ ihrer Vorstellungskraft vorübergehend freien Lauf, lächelte, als die Schönheit der Stimme des Meisters sie verzauberte. Er sprach erneut, so scharf wie zuvor: „Ist sie das, was sie zu sein behauptet?”
Aleytys hörte, wie die Lagerstatt raschelte, als der Meister seine Lage veränderte. Sie öffnete die Augen. Er war wie eine große Welle, die ein Ufer bedroht, über die gebeugte Gestalt des Schamanen gekrümmt.
„Ich kann es nicht so einfach sagen”, winselte die elende Kreatur.
„Sie muß geprüft werden.”
„Wie?” Vor Anstrengung grunzend, ließ er sich wieder auf den Fellen nieder und begutachtete Aleytys schlanke Figur; hinter dem milchigen Weiß begann ein Licht zu leuchten.
Der Schamane warf einen Blick zurück auf Aleytys. Das Licht, das in seinen düsteren Augen schimmerte, war nicht mißzuverstehen. Er wollte sie tot sehen,
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