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Lamento

Titel: Lamento Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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braucht sie nicht.«
    Er schwieg, als antworte ihm jemand, doch ich hörte nur das Prasseln der Regentropfen und fernen, rollenden Donner. Dann sprach Luke wieder: »Ich brauche keine Begleitung. Glaubst du, ich hätte so etwas noch nie gemacht?«
    Ich biss mir auf die Lippe.
    »Ich glaube einfach nicht, dass sie für dich von Interesse ist.« Pause. »Verdammt, ich mache es ja. Lässt du mich jetzt endlich in Ruhe? Lasst mich einfach alle in Ruhe.« Die Autotür schlug zu, und der Motor sprang an.
    Ich ging ins Haus. Auf einmal war mir kalt.
     
    Ich träumte. Es war mitten in der Nacht, und ich konnte Luke sehen, der langsam von mir fortging. Wir waren auf dem Gelände meiner Highschool, und er starrte auf den Picknicktisch, an dem wir geübt hatten. Dann ging er zum Rand des Fußballplatzes, und ich merkte, dass es regnete. Kalte, beißende Tropfen in der heißen Sommernacht.
    Er zog sein Hemd aus – verrückt, bei dem Wetter –, breitete die Arme aus und griff mit den Händen nach dem Regen. Er starrte zum Himmel hoch, während die Tropfen mit kalter Wut auf ihn eintrommelten, und seine Lippen bewegten sich, während er sich langsam im Kreis drehte. Doch wegen des Regens und der Donnerschläge, die den Boden erzittern ließen, konnte ich ihn nicht hören. Es erschien mir wie ein geheimes Ritual, das sonst nie jemand beobachtete, wie ein heimlicher Zauberspruch oder eine Beschwörung oder sonst eine Art gruseliger Magie.
    Wieder grollte der Donner, und er fiel auf dem scharfkantigen Kies auf die Knie, die Arme immer noch ausgebreitet und das Gesicht dem Himmel zugewandt.
    Nun war ich nah genug dran, um seine Worte zu verstehen: »Eintausend, dreihundert, achtundvierzig Jahre, zwei Monate und ein …«
    Donner krachte, und ich riss die Augen auf.
    Regen prasselte aufs Dach und ans Fenster, während der Donner draußen grummelte. Wach, aber noch nicht vollends aus dem Traum gelöst, lag ich da, verwirrt und nicht sicher, was real war und was noch zum Traum gehörte. War der Regen echt? Schlief ich noch?
    Licht an.
Der Lichtschalter kippte, als ich nur daran dachte, und gelbliches Licht erhellte einen Teil meines Zimmers. Auf der immer noch düsteren Seite stand eine Gestalt in der Ecke, schwarz und verschwommen.
    Ich blinzelte.
    Nur ein Schatten. Das Zimmer war leer, trotzdem hämmerte mein Herz. Ich griff mir an den Hals, wo Lukes Geheimnisschlüssel inzwischen an einer Kette hing. Rye lag neben meinem Bett und hob den Kopf, als er meine Aufregung spürte.
    »Ich dachte, ich hätte etwas gesehen«, sagte ich zu ihm.
    Rye blickte in die Ecke des Raums. Donner krachte, und ich riskierte einen Blick hinüber. O Gott. O Gott. Vor meinen Augen formte sich erneut ein Schemen, und ein undeutliches Gesicht wandte sich mir zu.
    Ich kniff die Augen zu.
Da ist nichts.
Ich öffnete sie wieder. Die Gestalt war immer noch da, nicht viel mehr als ein Schatten. Rye hielt den Blick darauf gerichtet, doch jetzt stöhnte er leise und legte den Kopf auf die Pfoten, als kümmere ihn das Etwas nicht.
    Vielleicht, weil es schon die ganze Zeit über da war.
    Ich riss mein Handy vom Nachttisch und wählte James’ Nummer. Die hellen Ziffern auf dem Display sagten mir, dass es fast zwei Uhr morgens war, aber ich glaubte – hoffte –, es würde ihm nichts ausmachen.
    Es klingelte und klingelte, während ich die reglose Gestalt anstarrte. Gleich würde die Mailbox anspringen. Nein! Dann, beim letzten Klingeln, hörte ich James’ schlaftrunkene Stimme. »Dee?«
    Nun, da ich ihn am Telefon hatte, kam ich mir ein bisschen albern vor. »Ja, ich bin’s.«
    »Stimmt was nicht?«
    »Äh … nein … vielleicht? Das klingt so dämlich, James. Tut mir leid, dass ich dich geweckt habe.«
    »Dee. Es ist zwei Uhr früh. Du hast doch irgendwas. Raus damit.«
    Ich erzählte ihm von Lukes Unterhaltung mit dem Nichts. »Und jetzt sehe ich etwas in meinem Zimmer. Ich glaube, es war schon die ganze Zeit über da, aber ich kann es erst jetzt sehen. Es sieht aus wie ein Schatten. Oder eine … Person.«
    James antwortete nicht. Ich starrte wie gebannt auf den Schemen. Starrte er zurück?
    Ich blinzelte.
    Die Ecke war leer: keine Gestalt, kein Schatten.
    »Oje … James, es ist gerade
verschwunden
.« Jetzt wurde es mir wirklich zu unheimlich. Ich verkroch mich tiefer unter der Bettdecke, als würde das gegen echte böse Geister etwas nützen. Natürliche Schatten verschwanden nicht einfach, also war da tatsächlich etwas gewesen. Schlimmer noch, ich wusste

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