Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Lamento

Titel: Lamento
Autoren: Maggie Stiefvater
Vom Netzwerk:
Bei dieser Vorstellung musste ich mir das Lachen verkneifen. Sorgfältig schrieb ich meine Adresse auf den Antrag.
    »Wow. Nimm’s mir nicht übel, aber ich dachte immer, du bist nicht der Typ, der einen Freund findet, von daher …«
    Ich drehte mich um. Dies war einer dieser klaren Momente, in denen ich das Gefühl hatte, von außen auf mein Leben zu schauen, und mir ging auf, dass Sara ziemlich herablassend war. Ich zog eine Augenbraue hoch.
    »Nicht dass du hässlich wärst oder so. Du bist nur so total …
gewöhnlich
«, wiegelte sie eilig ab.
    Ich war nicht gewöhnlich. Ich war
faszinierend.
»Das sieht er offenbar anders«, erwiderte ich.
    Sara richtete den Blick auf ihre leuchtend rosa lackierten Fingernägel und begann, damit auf die Theke zu trommeln. »Ich war nur ein bisschen überrascht, als du mit diesem Typen hier reinkamst, der … ich meine, der absolut irre aussieht.«
    Ich musste mich abwenden, um ein Lächeln zu verbergen. »Ja, er sieht ganz nett aus.«
    »Machst du Witze?«,
platzte Sara heraus. »Er ist
total überirdisch
scharf!«
    Diesmal konnte ich mir das Lachen nicht verkneifen. »Ja, nicht?« Überirdisch … Woher kam er eigentlich
wirklich?
, fragte ich mich.
    Die Glocke an der Tür klingelte. Zwei Männer kamen herein und gaben bei Sara, die sie ermunternd anlächelte, ihreBestellung auf. Ich schüttelte den Kopf. »Ich übernehme den einen.«
    Ich war froh über die Gelegenheit, ans andere Ende der Theke zu gehen und den Eisbecher machen zu können. Ich hatte nicht gelogen, als ich Luke gesagt hatte, dass ich gern hier arbeitete. Eiscremekugeln zu formen, hatte etwas Befriedigendes. Jede Geschmacksrichtung hatte eine andere Farbe, und dieses Gefühl, wie der Portionierer durch die köstliche Eiscreme glitt, war beinahe so reizvoll, wie das Eis selbst zu essen. Ich hatte einmal versucht, es Sara zu erklären, aber sie kapierte es nicht. Sie drückte nur Eiskugeln in Schalen und Tüten, wohingegen ich Eiscreme-Meisterwerke erschuf.
    »Wow, das sieht ja toll aus«, sagte Kunde Nummer eins, als er zusah, wie Nummer zwei meinen Eisbecher entgegennahm.
Ja, natürlich
, dachte ich.
Jede Kugel ist perfekt gerundet, und ich habe den Sirup und die Sahne symmetrisch angeordnet. Der Brownie ist quadratisch und genau richtig mit Eiscreme bedeckt. Die gehackten Nüsse sind so kreativ darübergestreut, dass es wie zufällig aussieht, aber nicht schlampig. Eigentlich sollte er auf dem Cover des
Eiscreme-Journals
erscheinen. Der schönste Eisbecher aller Zeiten. Kreiert von mir persönlich.
    Kunde Nummer eins bekam einen unterdurchschnittlichen Eisbecher von Sara und schaute etwas enttäuscht drein. Sein Exemplar war nicht symmetrisch und würde es niemals auf die Eiscreme-Titelseite schaffen. Sara hatte sogar Schokoladeneis von der ersten Kugel auf die zweite mit Vanillegeschmack verschmiert. Gar nicht schön.
    Kunde Nummer zwei lächelte mir begeistert zu und stopfte ein paar Dollarnoten in das Trinkgeldglas vor meiner Kasse. Dann lächelte er wieder, was mir runterging wie Öl.
    »Fangen Sie lieber an«, sagte ich. »Sonst schmilzt der Brownie noch das Eis.«
    »Dein Brownie ist warm?«, fragte Kunde Nummer eins niedergeschlagen. Nummer zwei lobte zufrieden die weiteren Vorzüge seines Eisbechers, während die beiden die Eisdiele verließen. Ich wandte mich meinem Formular zu, worauf Sara augenblicklich wieder neben mir stand.
    »Also, wo habt ihr euch kennengelernt?«
    Ich starrte auf mein Trinkgeldglas. Zwischen den Dollarnoten und dem Kleingeld, das sich im Lauf des Tages darin angesammelt hatte, lugte ein grünes Blättchen hervor, das nicht dorthin gehörte. Ich nahm das Glas und kippte den Inhalt auf die Theke.
    Sara sprang zurück, als ein paar Pennys in ihre Richtung kullerten. »Was soll das? Spinnst du?«
    Und tatsächlich – zwischen den zerknüllten Scheinen lag ein vierblättriges Kleeblatt. Ich zog es heraus und sah es an. Auch Sara musterte es erstaunt.
    »Wow, sind die nicht total selten?«
    Ich runzelte die Stirn. »Das dachte ich auch.«
    In diesem Moment klingelte die Türglocke wieder, und wir blickten auf. Sara entfuhr ein leises Seufzen, während ich grinste. Luke.
    Er erwiderte mein Lächeln. »Hallo, meine Schöne.« Doch sein Lächeln verblasste, als er sah, was ich in der Hand hielt. »
Noch
eines?«
    Meine Miene war ebenso bestürzt wie seine. »Es war in meinem Trinkgeldglas.«
    Luke senkte den Blick auf den Kleingeldhaufen auf der Theke und schüttelte den Kopf.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher