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Lamento

Titel: Lamento Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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worum er herumredete, und obwohl ich Kleeblätter über den Boden huschen lassen und Lichtschalter aus der Ferne betätigen konnte, wollte mein Verstand es immer noch nicht akzeptieren. Was seltsam war, denn ich hatte mir so lange gewünscht, die Welt möge nicht gewöhnlich sein. Und jetzt, da sie es nicht mehr war, kam ich anscheinend nicht damit klar.
    Ich senkte die Stimme. »Willst du etwa, dass ich an –
Magie
glaube?«
    Luke antwortete nicht, sondern sah mich nur mit diesen hellen Augen und einem traurigen Zug um den Mund an.
    »Also gut, dann nimm eben meine verdammte Hand«, brummte ich schließlich und hielt sie ihm hin. »Gehen wir.«
    Er ergriff meine Hand, und wir spazierten weiter, vorbei an einem alten Schallplattenladen und einem Antiquitätengeschäft mit einer Ritterrüstung vor der Tür, die einen langen Schatten auf den Bürgersteig warf.
    »Kannst du mir erklären, warum ständig diese vierblättrigen Kleeblätter auftauchen?«
    Luke umfasste meine Hand fester und sah sich um, ehe er antwortete. »
Sie
wollen, dass du sie sehen kannst.«
    »Wer sind denn ›
Sie
‹?«
    Er antwortete nicht.
    »Feen?«
    Seine Lippen verzogen sich kurz zu einem freudlosen Lächeln.
    Ich starrte ihm ins Gesicht und versuchte zu erkennen, ob er mich belog, doch ich sah nur mein eigenes unglückliches Stirnrunzeln darin, wie in einem Spiegel. Mein Verstand formte verschiedene Fragen, die jedoch den Weg zu meinen Lippen nicht fanden. Die Frage, die ich schließlich herausbrachte, war die dümmste von allen. »Ich dachte immer, Feen hätten Flügel?«
    »Manche schon.«
    »Ich dachte, sie wären kleine freundliche Wesen, die Blumen mögen.«
    »
Sie
mögen Blumen.
Sie
mögen alle hübschen Dinge.« Lukes Blick huschte über mein Gesicht und ordnete mich wortlos dieser Kategorie zu.
    Ich wollte ihm so gern glauben, dass es beinahe weh tat. »Warum wollen
sie
denn, dass ich
sie
sehen kann?«
    »Aus demselben Grund wie bei allen anderen.
Sie
wollen dich quälen. Mit dir spielen. Dich verwirren. Dich entführen«, antwortete er.
    Sommersprosse stand mir vor Augen. Hey, das gefiel mir. So würde ich ihn von jetzt an nennen. »Eisen vertreibt
sie
. Deshalb hat Granna mir den Ring geschenkt. Und du mir deinen Schlüssel. Aber – die Hunde?«, hakte ich nach.
    »
Ihre
Hunde.«
    »Mein Hund?«
    Luke sah mir in die Augen.
    Ich blinzelte. Was sollte das heißen? Dass
sie
mich bereits als Baby beobachtet hatten? Dass Rye, der gern Eichhörnchen jagte, aus dem Feenreich stammte? »Aber ich konnte
sie
sehen«, stammelte ich. »Die Jagdhunde, meine ich. Da hatte ich gar kein Kleeblatt bei mir.«
    Lukes Stimme klang ausdruckslos. »Du lernst schnell. Manche Leute brauchen den Klee nur eine Weile, bis sie von ihm gelernt haben, selbst zu sehen. Du gehörst offenbar zu diesen Leuten.«
    Es würde also noch schlimmer werden? Der Schatten in meiner Zimmerecke? Sommersprosse? Kein Wunder, dass Luke den Klee nach Kräften von mir ferngehalten hatte. »Aber warum hat Granna sich dir gegenüber so merkwürdig benommen?«
    Lukes Lippen zuckten. Er wich meinem Blick aus. »Ich glaube, sie hat mich mit jemandem verwechselt«, sagte er schließlich.
    Mit dieser Antwort war ich nicht zufrieden, obwohl ich nicht hätte sagen können, warum. Wir gingen eine Weile schweigend weiter, bis der Asphalt Kopfsteinpflaster und der Beton Backsteinen wich. Bäume neigten sich über die gepflasterte Straße, die von wunderschönen alten Häusern gesäumt war. Das grüne Blätterdach über uns verdeckte die Nachmittagssonne nun vollständig. Jeder Schritt, den wir taten, jedes Wort, das wir sprachen, führte uns weiter in eine seltsame, geheimnisvolle Welt hinein.
    »Warum sollten
sie
mich denn haben wollen?«, fragte ich schließlich.
    Abrupt blieb Luke stehen und zog mich unvermittelt in eine Nische in der Backsteinfassade – so schnell, dass ich seine Umarmung erst spürte, als ich mich schon ein paar Sekunden lang darin befand.
    Er flüsterte so leise in mein Ohr, dass ich ihn kaum hören konnte. »Wer wollte dich nicht haben?« Seine Lippen strichen langsam an meinem Hals hinab und über meine Schulter. Obwohl sein Mund so heiß war wie die verborgene Sommersonne, erschauerte ich und schloss die Augen. Meine Hände lagen zwischen uns, aber ich hätte ohnehin nicht gewusst, was ich mit ihnen tun sollte. Seine Lippen wanderten über meinen Hals nach oben, und ich stieß ihn von mir.
    Mein Verstand suchte nach einem logischen Gedanken, einem rationalen

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