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Lamento

Titel: Lamento
Autoren: Maggie Stiefvater
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»Ich glaube, die Sorte Glück brauchst du nicht.«
    »Jedes Mädchen braucht ein bisschen Glück«, mischte Sara sich ein. »Ich nehme es, wenn du es nicht haben willst.« Ich sah Luke an, der mit den Schultern zuckte. Also gab ich ihrdas Kleeblatt und schob die Münzen mit einer Hand wieder ins Glas zurück. »Ich habe gehört, du hättest bald Feierabend. Kann ich dich nach Hause fahren?«, fragte Luke.
    »In einer Viertelstunde. Wartest du so lange?«
    Sara seufzte. »Heute kommt sowieso niemand mehr, Deirdre. Es fängt gleich an zu regnen. Geh schon. Ich schließe um halb sechs ab.«
    Der ungewohnte Anfall von Selbstlosigkeit erstaunte mich. »Äh … danke! Bist du sicher?«
    Sara lächelte zuerst mich an, dann Luke. »Ja. Raus mit dir. Und vergiss dein Trinkgeld nicht.«
    »Die Hälfte gehört dir«, log ich höflich.
    Sara warf einen Blick auf das Glas neben ihrer Kasse, in dem nur ein paar Fünf- und Zehn-Cent-Stücke lagen. »Schon klar.«
    Also stopfte ich mir die Scheine in die Tasche – die Münzen ließ ich im Glas, denn die Kunden gaben mehr Trinkgeld, wenn sie sahen, dass schon welches da war. Dann folgte ich Luke hinaus in die schwüle Nachmittagshitze. Die dicken Wolken kündigten tatsächlich Regen an, aber bis es so weit war, würde die Luft noch drückender werden. Ich war froh, dass mich jemand nach Hause fuhr. Als ich heute Morgen zu Fuß hergekommen war, hatte der Tag noch strahlend klar ausgesehen.
    Wir blieben kurz stehen und blickten zum unheilvoll bewölkten Himmel auf, als mir der inzwischen allzu vertraute Kräuterduft in die Nase stieg. Luke musste ihn auch gerochen haben, denn er stand wie erstarrt neben mir und blickte ans Ende des Parkplatzes.
    »Komm, fahren wir.« Er zog mich an der Hand zum Auto. Drinnen drehte er die Klimaanlage auf, aber der Thymianduft wurde aus den Lüftern geblasen – so stark, als käme er von mehr als einem einzelnen Freak. Ich hatte keine Ahnung, washier los war, aber der Geruch erinnerte mich an das ungute Gefühl, das mich beschlichen hatte, als der Sommersprossige mich umkreist hatte.
    »Fahr los«, drängte ich.
    Das brauchte ich Luke nicht zweimal zu sagen. Er schoss so schnell rückwärts, dass die Reifen quietschten, dann bremste er abrupt und legte den ersten Gang ein. Mit aufheulendem Motor rasten wir vom Parkplatz und die Straße entlang. Nach gut einem Kilometer verflog der Thymiangeruch allmählich, an der Abzweigung zu mir nach Hause war er fast verschwunden, und als uns fünfzehn Kilometer von Dave’s Ice trennten, roch es im Auto nur noch nach diesem schwachen, sauberen Duft, der zu Luke gehörte.
    Ich wollte etwas sagen, aber damit hätte ich die stillschweigende Regel gebrochen, so zu tun, als sei er völlig normal. Außerdem wusste ich jetzt, dass nicht nur er unnormal war. Irgendein Unwetter braute sich um mich zusammen, genau wie die violetten Gewitterwolken über uns, und wartete darauf, loszubrechen. Luke war nur eines seiner Elemente. Der Typ mit den Sommersprossen gehörte auch dazu, und diese Eleanor vom Empfang. Ebenso wie all der vierblättrige Klee.
    »Verflucht!«, schrie Luke und trat mit aller Kraft aufs Bremspedal, als ein weißer Jagdhund mitten auf die Straße sprang. Erschrocken schnappte ich nach Luft. »Rye?« Doch in diesem Moment stürmte ein weiterer weißer Hund aus dem Gebüsch am Straßenrand, und noch einer, und noch viel mehr. Alle folgten dem ersten und verschwanden im Unterholz auf der anderen Straßenseite. Das mussten insgesamt zwanzig Hunde gewesen sein – zwanzig bellende, jaulende Kopien von Rye.
    »Die sehen alle aus wie Rye«, sagte ich leise. Aus irgendeinem Grund erschien mir dies als das Übernatürlichste, was ich die ganze Woche lang gesehen hatte. Dabei war es nur einRudel Jagdhunde. Ein Rudel Hunde, die alle dieselbe Fellfarbe hatten wie Rye. Sie hätten Geschwister sein können. Aus einem
verdammt
großen Wurf. Fast siebzehn Jahre lang hatte ich keinen anderen Hund wie Rye gesehen, und jetzt gleich zwanzig auf einmal?
    Ich bemerkte, dass Luke mich ansah. »Du hast sie gesehen?«, fragte er.
    »Da waren mindestens zwanzig. Natürlich habe ich sie gesehen!«
    Luke brummte etwas, wendete und schlug den Weg zu mir nach Hause ein. Seine Finger umklammerten das Lenkrad. Ich wusste nicht, was ihn so verstört hatte, aber es gefiel mir nicht, ihn so bestürzt zu sehen. Ich kannte ihn erst seit ein paar Tagen, und doch verließ ich mich bereits darauf, dass er stets ruhig und gelassen blieb. Diese
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