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Lamento

Titel: Lamento Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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geparkte Autos und betonierte Mittelstreifen das Sonnenlicht. Es gab zwar Bäume, doch sie wirkten wie nachträglich eingeschoben und gingen zwischen all den von Menschenhand errichteten Gebäuden unter. Ich war schon ein paarmal kurz in Richmond gewesen, und es hatte mir nie gefallen, aber ich
spürte
förmlich, wie Luke sich entspannte, als wir weiter hineinfuhren.
    »Du magst die Stadt.« Das war keine Frage, obwohl mich die Tatsache schon überraschte.
    Luke ließ den Blick über all die strahlenden Oberflächen schweifen. »Nein. Ich mag, was die Stadt bewirkt. All dieses …
Zeug
. Niemand außer Menschen würde hier leben wollen.« Er deutete auf einen hohen Kirchturm, dessen ferne Spitze über Dächern und Baumwipfeln aufragte. »Und die Kreuze. Fast alles hier ist kreuzförmig. Das können sie nicht ausstehen.«
    »Sie?« Dieses
niemand außer Menschen
jagte mir einen Schauer über den Rücken. Als könnten »Sie« vielleicht keine sein.
    Luke warf mir einen Blick zu, und seine Miene wirkte seltsam unbeschwert. »Psst, hübsches Mädchen. Vergnügen wir uns erst ein bisschen, ehe du wieder anfängst, mich zu löchern.«
    Er schlug den Weg nach Carytown mit seinen zahllosen, kunterbunt gestrichenen Läden ein, in denen alle möglichen schrägen Dinge verkauft wurden, die man sonst nirgendwo fand. Nachdem er ein paar Nebenstraßen abgesucht hatte, fand er einen beinahe schattigen Parkplatz. »Ich kenne eine großartige französische Bäckerei, falls du Hunger hast.«
    »Klingt gut.« Ich war am Verhungern. Vor Aufregung hatte ich nichts zu Mittag gegessen.
Weil du dumm bist
, erinnerte mich die Stimme in meinem Kopf freundlicherweise.
    Wir holten uns in dem kleinen Café Gebäck und setzten uns an einen schmiedeeisernen Tisch an der Hauptstraße. Luke sah belustigt zu, wie ich mein gefülltes Gebäckstück auseinandernahm.
    »Was machst du da?«
    »Ich schaue nach, woraus es besteht.« Ich stieß mit der Gabel eine Biskuitschicht an und probierte die Creme darauf. »Damit ich versuchen kann, es nachzumachen.« Das hatte mir Mom beigebracht. Sie nahm alles auseinander, las Rezepte wie andere Leute Romane und vollbrachte dann ihre eigene Magie in der Küche.
    Er schüttelte den Kopf.
    »Eigenartig eigenartig?«, half ich ihm auf die Sprünge.
    »Ich wollte gerade sagen ›merkwürdig merkwürdig‹.«
    Am liebsten hätte ich ihm gleich meine Fragen gestellt – ihn gelöchert, wie er es nannte –, aber das Gebäck schmeckte so gut (die Creme bestand aus Haselnuss), dass ich erst aufaß, bevor ich etwas sagte. »Und jetzt schieß los.«
    Luke stand auf. »Und jetzt gehen wir spazieren«, erklärte er. »Ich glaube nicht, dass hier jemand ist, aber im Gehen fühle ich mich wohler.«
    Ich stand auf, und er nahm ganz selbstverständlich meine Hand. Ich fragte mich, ob ihm die Berührung denselben Stromstoß versetzte wie mir. Wir spazierten den strahlend weißen Betonbürgersteig entlang. Rechts flitzten Autos an uns vorbei, und aus einem der Klamottenläden drang laute Musik.
    »Sag mir Bescheid, wenn du dich irgendwo umschauen möchtest«, sagte Luke.
    Als würde ich jetzt shoppen wollen, verdammt noch mal!
    »Rede einfach. Sag mir, was los ist.«
    Er sah zu, wie ein Radfahrer langsam auf der anderen Straßenseite entlangrollte. »Das ist mein Geheimnis …« Er beugtesich näher zu mir. »Ich kann dir meine Geheimnisse nicht erzählen.«
    Ich brauchte einen Moment, um zu begreifen, was er gesagt hatte. Dann entriss ich ihm meine Hand und blieb abrupt stehen. »Du hast mich hierhergeschleppt, um mir das zu sagen?« Ein Pärchen auf dem Bürgersteig gegenüber blieb stehen und schaute zu uns herüber, worauf ich die Stimme senkte. »Ich hatte wirklich ein bisschen mehr erwartet. Wenigstens ein paar Lügen.«
    Luke streckte die Hand aus, doch ich verschränkte die Arme. Er seufzte. »Es ist wirklich so, ich kann dir meine Geheimnisse nicht einfach erzählen. Aber ich weiß nicht genau, wie viel ich dir nicht sagen kann. Du könntest mir Fragen stellen, und dann sehen wir, wie weit wir kommen.«
    Ich musterte ihn stirnrunzelnd. Eine Punkerin und ihr androgyn aussehender Freund mussten sich an mir vorbeidrängen. Ich ignorierte ihre spöttischen Bemerkungen und sah Luke mit zusammengekniffenen Augen an. »Was soll das heißen, dass du nicht weißt, wie viel du mir ›
nicht
erzählen kannst‹?«
    Er sah mich mit Verständnis heischendem Blick an und zuckte hilflos mit den Schultern.
    Im tiefsten Herzen wusste ich,

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