Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Lamento

Titel: Lamento Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
Vom Netzwerk:
außer Luke und Gott.
     
    Auf der Heimfahrt sprachen wir nicht über die Rose. Lange Zeit starrte ich aus dem Fenster auf den gespenstischen Mond, der über den schwarzen Silhouetten der Bäume hing, während die Streifen der Fahrbahnmarkierung an mir vorbeirasten. Irgendetwas an diesem Mond, der so geheimnisvoll und ewig aussah, erinnerte mich an das Gefühl, als ich die Rose in meiner Hand hatte erblühen lassen.
    Unvermittelt bog Luke vom Highway auf einen kaum erkennbaren Feldweg ab. Er zog die Handbremse an und betrachtete die Leuchtziffern der Uhr auf dem Armaturenbrett.
    »Bist du wütend auf mich?«, fragte er.
    Überrascht sah ich ihn an. Sein Gesicht war grün und spitz, nur von den beleuchteten Instrumenten erhellt, und er sah aufrichtig bekümmert aus.
    »Warum sollte ich?«
    »Du bist so still. Nur daran habe ich letztes Mal gemerkt, dass du böse bist, deshalb gehe ich davon aus, dass ich etwas falsch gemacht habe.«
    »
Du
bist derjenige, der still geworden ist. Ich dachte,
du
wärst böse auf mich, weil …« Ich verstummte, weil ich nicht recht wusste, ob ich den Vorfall in der Kirche lieber nicht erwähnen sollte.
    Luke seufzte und machte eine vage Geste. »Das ist alles so neu für mich.«
    »Was denn?«
    »Du.«
Er zuckte verlegen mit den Schultern. »Ich weiß nicht, was ich tun soll.«
    »Wegen was?«
    »Wegen
dir

    »Wegen dem, was in der Kir…«
    Luke unterbrach mich hastig. »Nein. Einfach nur mit dir. Dir allein. Ich warte die ganze Zeit darauf, dass du mir sagst, ich solle dich in Ruhe lassen. Dass ich dir unheimlich bin.«
    »Aber genau deswegen habe ich dir nicht gesagt, dass du verschwinden sollst.«
    »Warum?«
    »Weil du mir ständig erzählst, wie seltsam du bist. Wirklich zwielichtige Typen sagen einem nicht, wie zwielichtig sie sind.«
    »Ich bin in einer dunklen Gasse über dich hergefallen.
Das
nenne ich zwielichtig.«
    Darum ging es also. Um den Kuss. Wie süß, dass er sich deswegen Gedanken machte. Ich lachte. »Du bist nicht über mich hergefallen. Außerdem war das keine dunkle Gasse.«
    »Ich habe dich aber nicht vorher gefragt.«
    Ich kannte mich mit Dates nicht sonderlich gut aus, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass irgendein Junge um Erlaubnis bat, ehe er ein Mädchen küsste. Im Film vielleicht. »Ich habe den Kuss doch erwidert.«
    Er sah mich aus den Augenwinkeln an. »Ich will nicht zu weit gehen und etwas falsch machen. Und Ärger bekommen.«
    Mist, das kam mir bekannt vor. »Luke, ich bin nicht böse auf dich. Und …« Ich musste den Blick abwenden und spürte, wie ich ebenfalls rot wurde. »Du bekommst keinen Ärger. Oder – vielleicht würde mir die Sorte Ärger gefallen, die du bekommen könntest.« Das hätte ich vielleicht lieber nicht sagensollen. Am Ende hielt er mich noch für eine billige Schlampe. Oder er ging
wirklich
zu weit. Vielleicht verstand er auch gar nicht, was ich damit meinte. Vielleicht …
    Luke lächelte schief, hob die Hand und strich mir übers Kinn. Am liebsten hätte ich die Augen geschlossen, mein Gesicht in seine Handfläche geschmiegt und alles vergessen, was mich zu Deirdre machte.
    »Du bist noch ein Baby. Du weißt gar nicht, wie viel Ärger ich mir einhandeln kann.«
    Ich fuhr auf und rückte von ihm ab. »Was soll
das
denn heißen?«
    »Ich wollte damit nicht sagen, dass … siehst du, jetzt bist du schon wieder sauer.«
    Ich starrte ihn frostig an. »Ach, tatsächlich? Du hast mich gerade ein Baby genannt.«
    Luke ließ sich frustriert auf seinen Sitz zurücksinken. »Das war eigentlich ein Kompliment.«
    »Wie kommst du denn darauf?«
    »Weil du mich ständig vergessen lässt, wie jung du bist.« Er hatte sichtlich Mühe, es mir zu erklären, und wich meinem wütenden Blick aus. »Du bist so … du bist mir so ähnlich. Du fasst alles so mühelos auf, als hättest du es schon hundertmal gemacht. Und deine Augen, wenn du Musik machst … ich vergesse jedes Mal völlig, dass du erst sechzehn bist.«
    »Solltest du nicht noch ›unglaublich schön‹ und ›umwerfend intelligent‹ hinzufügen, wo du schon bei den unsinnigen Komplimenten bist?« Ich hätte ihm zu gern geglaubt, aber mein Verstand konnte »absolut unsichtbar« irgendwie nicht mit »absolut begehrenswert« in Übereinstimmung bringen.
    »Ich meine es ernst. Aber du bist tatsächlich unglaublich schön.« Seine Stimme klang aufrichtig.
    Ich schüttelte den Kopf. »Eleanor ist unglaublich schön.Ich weiß, was ich bin, und schön bin ich nicht. Aber das

Weitere Kostenlose Bücher