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Lamento

Titel: Lamento Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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und dann doch wieder morden ließ.
    »Das ist also dein Geheimnis?«, fuhr ich ihn an. Luke bewegte sich nicht. »Du gehörst nicht zu den Feen – du bist nur ein Serienmörder?« Ich hätte »nicht einer von
ihnen
« sagen sollen, aber in diesem Augenblick war mir das egal. Übernatürliche Wesen schienen mir gerade das Geringste meiner Probleme zu sein.
    Luke saß immer noch ganz still da, wie eine weitere Marmorstatue in dem Monument.
    Aus irgendeinem Grund machte mich sein Schweigen nur noch zorniger. Ich stellte fest, dass ich inzwischen aufstehen konnte. Also rappelte ich mich auf und starrte über die wachsende Kluft zwischen uns auf ihn hinab. »Hattest du vor, mich umzubringen? Ging es dir darum? Hast du mich vor
ihnen
gerettet, damit du mich in Ruhe und ungestört erstechen kannst?«
    Er rührte sich immer noch nicht. »Hast du denn keine Angst?«, fragte er stattdessen mit ausdrucksloser Stimme.
    »Nein! Ich bin
sauer!
«
    Endlich sah er mich an, und sein Blick flehte stumm umVerständnis. Aber wie konnte jemand für so etwas Verständnis haben? Es ging nicht um wilden Sex oder Drogen oder eine vollständige Sammlung von Britney-Spears-Postern, die ich in seinem Geist entdeckt hatte. Es ging um eine Spur von Leichen. Echte Menschen, deren Leben er mit einem raschen Stich beendet hatte, genau wie das der Raubkatze. Vielleicht war das der eine Aspekt, den ich am wenigsten verzeihen konnte. Ich hatte meinen fest versiegelten Panzer geöffnet und ihn eingelassen – und jetzt tat es
weh
.
    »Du wolltest ständig wissen, ob ich dich für zwielichtig oder was auch immer halte … weil du ein Mörder bist? Ein
Killer?
«
    Seine Stimme klang tonlos. »So ist es nicht.«
    Ich schlang die Arme um mich. »Ach ja? Und wie ist es dann? Diese Leute sind dir rein zufällig ins Messer gelaufen? Lass mich raten. Es war Notwehr. Das Mädchen, das ich gesehen habe, wollte dich verprügeln.«
    Er schüttelte den Kopf.
    Er
leugnete
es nicht einmal. »Wie viele? Wie viele Leute hast du ermordet?« Als ob das eine Rolle spielte. Als ginge es um eine Matheprüfung, in der die Anzahl der Fehler über die Note bestimmte. Er war ein Mörder, ganz egal, wie viele Menschenleben er auf dem Gewissen hatte.
    »Zwing mich nicht, mich zu erinnern.«
    »Warum? Tut es weh? Meinst du nicht, dass es ihnen noch viel mehr weh getan hat?« Luke sah aus, als träfen meine Worte ihn wie Messer, aber er hatte kein Recht auf Gnade. »Wie viele?«, herrschte ich ihn an.
    »Zwing mich nicht, mich zu erinnern.«
    Meine Stimme bebte vor Zorn. »Du Arschloch. Du hast mich glauben lassen, du wärst einer von den guten Jungs. Du hast mich dazu gebracht, dir zu vertrauen!«
    »Es tut mir leid.«
    »
Es tut mir leid
reicht hier nicht, verdammt! Du hast Menschen getötet. Keine Soldaten, sondern unschuldige Menschen. Ich habe sie gesehen. Sie haben dir nichts getan! Du bist einfach nur … du bist … ein Ungeheuer.« Die Bilder seiner Gewalttaten flackerten immer noch in meinem Kopf auf, im Augenblick des Todes festgehalten. Am liebsten hätte ich mich übergeben, um dieses Gift aus meinem Körper zu schaffen, aber ausgerechnet jetzt konnte ich nicht. Er hatte sie nicht nur ermordet, sondern mir die Erinnerungen an ihren Tod aufgebürdet. So deutlich, als hätte
ich
es getan.
    Ich wischte mir eine Träne – eine echte Träne, keine merkwürdige blutige – von der Wange und sank wieder zu Boden. Mein Zorn war so schnell erloschen, wie er aufgeflammt war. Ich wollte einfach gar nichts mehr fühlen.
    »Kannst du mir verzeihen?«, flüsterte Luke.
    Ich wischte noch eine Träne weg, ehe sie mir über die Wange kullern konnte. Es sollte ihm genauso weh tun wie mir. Kopfschüttelnd starrte ich ihn an und staunte, dass er eine solche Frage auch nur stellte.
    »Wie könnte ich das?« Sein Blick richtete sich auf mich, flehte mich an, meine Meinung zu ändern, flehte um Vergebung. Ich schüttelte wieder den Kopf.
»Nein.«
    Lange herrschte Schweigen. Jahre schienen zu vergehen, ehe er sprach.
    Seine Stimme war kaum hörbar. »Das dachte ich mir.« Langsam stand er auf und streckte die Hand nach mir aus. »Komm. Ich bringe dich nach Hause.«
    Ich starrte seine Hand an. Glaubte er ernsthaft, dass ich sie anfassen würde? Diese Finger, die einen Mann erwürgt hatten? Die ein Messer gehalten und damit einen tödlichen Schnitt quer über die Kehle eines Mädchens geführt hatten? Er muss mir diese Gedanken angesehen haben, denn er ließ die Handsinken. Der jämmerliche

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