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Lamento

Titel: Lamento Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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Verzweifelt.
    Eleanor lachte, ein zarter Laut, der die Bäume links und rechts von uns erbeben ließ. »Wut steht dir so gar nicht, mein Lieber.« Sie hielt ihm die polierte beinerne Klinge hin. »Ich bringe dir dies hier, da du deine anscheinend verloren hast.«
    »Ich habe sie nicht verloren.«
    Sie umkreiste uns. Luke hielt mich so fest, dass es weh tat.
    »Ja«, sagte sie schließlich. »Das sehe ich.« Sie hob die Hand, als wollte sie mein Haar berühren. Ihre eleganten Finger näherten sich meinem Gesicht und zuckten plötzlich zurück. Eleanor blickte auf ihre Finger hinab, als sei sie von deren Tun überrascht, ehe sich ihr Blick auf Lukes Geheimnis heftete, das um meinen Hals hing.
    Luke trat zurück und zog mich mit sich. »Rühr sie nicht an. Lass deine dreckigen Hände von ihr.«
    Eleanor musterte prüfend ihre Fingernägel. »Hm. Ich verstehe gar nicht, warum du so unhöflich bist, Schätzchen. Wir haben in den vergangenen Tagen so viel Geduld mit dir gehabt. Alle waren so nett zu dir. Ich hätte erwartet, dich in besserer Laune anzutreffen. Immerhin hattest du mehr als genug Zeit, dich gründlich auszuruhen.« Sie hielt ihm erneut das Messer hin. »Jetzt kannst du es zu Ende bringen, und wir alle können in unser gewohntes Leben zurückkehren.« Sie lachte, und diesmal schauderten die Bäume an der ganzen Straße. »Nun ja, die meisten von uns.«
    Ich malte mir aus, wie die perlweiße Klinge ganz leicht über meine Kehle fuhr und eine rote Spur hinterließ. Er hatte schon so viele Menschen ermordet. Im Grunde kannte ich ihn doch gar nicht. Wieder sah ich deutlich vor mir, wie sein Dolch in den Unterkiefer der Katze drang. Trotzdem konnte ich mich nicht fürchten, ganz gleich, welche Warnungen mein logischer Verstand vorbrachte. Aus irgendeinem Grund konnte ich ihn in keiner anderen Rolle sehen als der meines Beschützers.
    Neben mir schüttelte Luke wortlos den Kopf.
    Eleanor umkreiste uns wieder und musterte mich diesmal abschätzend. »Ach, Luke. Du hast im Lauf der Jahre schon einige Male eine schlechte Wahl getroffen, das wissen wir beide, nicht wahr? Aber ich glaube,
so
schlecht hast du noch
nie
gewählt«, sagte sie mit vor boshaftem Hohn triefender Stimme. »Also, bist du sicher, dass du es nicht tun willst? Ganz schnell. In einem Augenblick wäre es vorbei. Ich würde es gern für dich tun, aber … du weißt ja …«
    »Nein.« Seine Stimme klang hart, trotzdem spürte ich, wie er zitterte.
    Eleanor zog einen Schmollmund, so schön, dass Engel weinten und Blumen verschrumpelten. »Was soll ich
ihr
dann nur sagen?«
    »Sag ihr …« Luke zögerte, und als er weitersprach, schwang Verzweiflung in seiner Stimme mit. »Sag ihr, dass ich mich ihrer Gnade ausliefere. Sag ihr, dass ich es nicht tun kann und sie um Gnade bitte.«
    Eleanor blickte verwundert drein. »Du
kannst
es nicht? Dieses Mädchen töten? Warum?«
    »Ich liebe sie.« Lukes Stimme klang ausdruckslos und nüchtern, als hätte er festgestellt, dass der Himmel blau ist.
    Ich spürte, wie meine Knie nachgaben. Wenn er mich nicht festgehalten hätte, wäre ich ins Straucheln geraten.
    Das Lächeln auf Eleanors Gesicht war so strahlend, dass ich den Blick abwenden musste. Sie schien vor grausamer Freude förmlich zu glühen. »Oh, das werde ich ihr sagen. Den letzten Satz auch?« Sie faltete die Hände und drückte die Finger an die Lippen, als platzte sie beinahe vor Begeisterung über das großartige Geschenk, das er ihr gemacht hatte.
    Luke wollte antworten, doch die Straße war leer.
    Langsam zog der Nebel über den Asphalt. Nach einer Weile ließ Luke mich los und trat einen Schritt zurück, den Blick auf die Stelle geheftet, wo Eleanor gerade noch gestanden hatte. Er verschränkte die Hände hinter dem Kopf und kniff die Augen zusammen. »Gott, was habe ich getan?«
    Das war eine gute Frage. Ich hatte keinen blassen Schimmer, was hier gerade passiert war. Nur an die Worte »Ich liebe sie« erinnerte ich mich. Sie waren hängengeblieben und spulten sich immer wieder ab, schauerlich untermalt von den Bildern seiner Morde.
    Alles andere hingegen entglitt mir, sobald ich daran zu denken versuchte. Ich sah zu, wie Luke auf und ab ging, die Finger immer noch hinter dem Kopf verschränkt, während erneut Bilder vor mir aufstiegen. Zusammenhanglose Erinnerungen – Luke als kleiner Junge griff nach der Hand eines Erwachsenen.Sein Haar glänzte im Sonnenuntergang in einer Stadt. Seine Finger tippten auf einer Tastatur.
    Mir schwirrte der

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