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Lamento

Titel: Lamento Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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Land
    Und rauscht in der goldenen Gerste.
    »T HE W IND T HAT S HAKES T HE B ARLEY «

Dreizehn
     
     
     
     
     
    Als ich aufwachte, hörte ich das Piepsen meines Handys und laute Stimmen von unten. Mom und Delia. Das überraschte mich nicht. Sie stritten sich, wie andere Menschen atmeten – instinktiv und unausweichlich. Die Sonne schien so grell, dass ich das Gesicht abwenden musste. Offenbar hatte ich eine halbe Ewigkeit geschlafen.
    Ich rollte mich auf den Bauch und zog das Handy aus der hinteren Hosentasche. Ein Glück, dass ich diese Jeans vor der Waschmaschine gerettet hatte, als ich zu Luke hinausgegangen war, sonst wäre es jetzt hinüber. Ich setzte mich auf und rieb mir den Schlaf aus den Augen. Es fühlte sich an, als wäre ich ohnmächtig gewesen. Ich war so tief in einem traumlosen Schlaf versunken, dass ich offenbar einen Anruf verschlafen hatte.
    Luke.
    Sofort war ich hellwach, und die Ereignisse in diesem Melodram, zu dem sich mein Leben inzwischen entwickelthatte, kamen mir wieder in den Sinn. Ich klappte das Handy auf: vierzehn entgangene Anrufe, drei neue Nachrichten. Alle von James. Sie hatten gegen sechs Uhr früh angefangen, der letzte lag erst ein paar Minuten zurück. Ich öffnete den Nachrichtenordner.
    Die erste SMS:
klopf klopf schon wach?
    Die nächste:
muss dich sprechen.
    Und die letzte:
ruf granna an.
    Natürlich rief ich nicht Granna an, sondern James. Er ging beim ersten Klingeln dran.
    »Was ist los, schläfst du neuerdings in einem Sarg? Ich versuche seit Stunden, dich zu erreichen.«
    »Was ist denn?«
    »Hast du Granna angerufen?«
    Steifbeinig, weil ich in meiner Jeans geschlafen hatte, kletterte ich aus dem Bett. »Nein, dich. Du hast mich vierzehnmal angerufen, deshalb dachte ich, es sei wichtig.«
    »Ist es auch. Ich glaube, deiner Großmutter ist etwas zugestoßen.«
    »Was?«
    »Nenn es meinen komischen Instinkt, wenn du willst. Hat sie dir dieses Zeug gebracht, das sie in der Werkstatt gemacht hat?«
    Nein, hatte sie nicht. Leise Gewissensbisse regten sich in mir, weil ich sie völlig vergessen hatte. »Nein. Sie hat auch nicht angerufen. Sprichst du von deinem Kristallkugel-Instinkt, oder ist das gesunder Menschenverstand?«
    »Kristallkugel. Würdest du sie bitte endlich anrufen und her ausfinden, ob ich recht habe? Ich meine, natürlich hoffe ich, dass ich mich irre, aber ich habe schon seit heute früh so ein seltsames Gefühl. Ich konnte nicht schlafen. Ich habe sogar die Deirdre-Nummer abgezogen.«
    »Du musstest dich
übergeben?
«
    »Ja. Rufst du sie jetzt bitte an?«
    »Okay, ich melde mich gleich wieder.«
    Ich legte auf, doch ehe ich dazu kam, Grannas Nummer zu wählen, hörte ich Mom von unten nach mir rufen. Sie hatte diesen mühsam beherrschten Ton in der Stimme, der bedeutete, dass jemand mächtig Ärger bekommen würde.
    O Gott. Was, wenn sie gestern Nacht etwas mitbekommen hatte? Sie würde mich foltern, töten und mich dann durch ein satanisches Ritual wiedererwecken, damit sie mich noch mal umbringen konnte.
    Mom hatte sich nie die Mühe gemacht, mit mir über Sex zu reden – dann hätte sie ja etwas über meine Gefühle herausfinden müssen. Aber sie hatte keinen Zweifel daran gelassen, was sie von jungen Mädchen hielt, die mit ihren Freunden übers Händchenhalten hinausgingen. Ich erinnerte mich noch lebhaft daran, wie sie mich einmal bei Dave’s Ice abgesetzt hatte, als ich noch nicht lange dort arbeitete. Sara hatte ihren Freund auf dem Parkplatz geküsst. Während ich mich gewundert hatte, warum jemand eine fremde Zunge in seinem Ohr toll finden sollte, hatte Mom gesagt: »Solche Mädchen haben keinerlei Selbstachtung. Warum sollte jemand die Kuh kaufen, wenn er die Milch umsonst bekommt?«
    Ich fragte mich, wie sich Lukes Zunge in meinem Ohr anfühlen würde.
    »Deirdre!«,
brüllte Mom wieder. Eilig rubbelte ich meine Fußsohlen ab, damit meine Füße nicht so aussahen, als wäre ich die halbe Nacht draußen herumgelaufen. »Zwing mich nicht, raufzukommen!«
    Ehe sie ihre Drohung wahrmachen konnte, ging ich hinunter in die Küche. Mom, Delia und Dad standen da, jeder mit einem Kaffeebecher in der Hand. Alle drei sahen im kräftigenLicht des späten Vormittags, das durch die Fenster hereinfiel, müde und angespannt aus. Es hieß also drei gegen einen. Das war unfair.
    »Guten Morgen«, sagte ich. Leugnen, was nur ging, das war meine Strategie.
    Mom trank einen Schluck Kaffee. »Du musst heute arbeiten, oder?«, fragte sie, ohne mich

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