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Lamento

Titel: Lamento Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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wandte den Blick ab, öffnete das Kästchen und setzte sorgfältig eine Querflöte zusammen. »Du willst mir also erzählen, dass du eine erstklassige Musikerin bist, deine Musik aber mit niemandem teilen willst?«
    »So ausgedrückt, hört sich das ziemlich egoistisch an!«
    Lukes Mund verzog sich auf einer Seite, als er die Flöte an die Lippen setzte. Er blies ein hauchiges A und justierte das Instrument. »Na ja, ich habe dir das Haar aus dem Gesichtgehalten. Habe ich dafür nicht ein Lied verdient? Konzentriere dich einfach auf die Musik. Tu so, als wäre ich gar nicht da.«
    »Bist du aber.«
    »Tu so, als wäre ich ein Picknicktisch.«
    Ich betrachtete die muskulösen Arme unter den T-ShirtÄrmeln. »Du bist
definitiv
kein Picknicktisch.« Dieser Typ war definitiv kein Picknicktisch.
    Luke sah mich an. »Spiel.« Seine Stimme klang stählern, und ich senkte den Blick. Nicht, weil ich beleidigt war, sondern weil er recht hatte.
    Ich wandte mich meiner Harfe zu –
Hallo, alte Freundin
– und kippte sie auf ihren fünfzehn Zentimeter hohen Füßen, um sie gegen meine Schulter zu lehnen. Ich probierte, ob die Saiten noch gut gestimmt waren, und dann begann ich zu spielen. Die Saiten fühlten sich herrlich und butterweich an – die Harfe liebte dieses warme, feuchte Wetter.
    Ich sang. Meine Stimme klang erst schüchtern, dann kräftiger, als mir klar wurde, dass ich ihn beeindrucken wollte.
»Die Sonne scheint durchs Fenster
Sie leuchtet in deinem Haar.
Es ist, als säßest du neben mir
Doch ich weiß, du bist nicht da.
Du saßest an diesem Fenster
Und strichest mir durchs Haar.
Immer warst du hier bei mir
Doch ich weiß, du bist nicht da.
Ach, wär ich wieder an deiner Seite
Ach, hielte ich wieder deine Hand
Ach, wär ich wieder an deiner Seite
Ach, hielte ich wieder deine –«
    Ich brach ab, als ich hörte, wie seine Flöte in die Melodie einfiel. »Du kennst das Lied?«
    »Ja, natürlich. Singst du auch den Vers, in dem er getötet wird?«
    Ich runzelte die Stirn. »Ich kenne nur den Teil, den ich eben gesungen habe. Ich wusste gar nicht, dass er gestorben ist.«
    »Der arme Junge, natürlich stirbt er. Das ist ein irisches Lied, oder? In irischen Liedern sterben sie grundsätzlich. Ich singe ihn dir vor. Spiel weiter, damit ich die Melodie nicht verliere.«
    Ich spielte und lauschte gespannt auf seine Stimme.
    Er wandte das Gesicht der Sonne zu und sang:
»Im Traume zieht es mich zu dir
Zum Laut der Harfe klage ich
Denn als du an jenem Tage starbst
Mit meinem Herzen zahlte ich
Im Traume zieht es mich zu dir
Mit gebrochenem Herzen klage ich
Und nie mehr sing ich dieses Lied
Die Harfe erklingt nie mehr für mich …
    … weil er getötet wird und …«
    »… traurig«, warf ich ein.
    »… und das ist ein sehr altes Lied«, fuhr Luke fort. »Der Vers, den du gesungen hast – ›Ach, wär ich wieder an deiner Seite‹ –, muss irgendwann im Lauf der Zeit eingefügt worden sein. Ich habe diesen Teil noch nie gehört. Aber was ich gesungen habe, gehörte schon immer zu diesem Lied. Kanntest du den Vers nicht?«
    »Nein, den nicht«, antwortete ich und fügte wahrheitsgemäßhinzu: »Du hast eine wunderbare Stimme. Bei dir klang es so, als würde man eine CD hören.«
    »Bei dir auch«, sagte Luke. »Du hast eine Stimme wie ein Engel. Besser, als ich erwartet hatte. Und das ist ein Mädchenlied. Der Text ist mädchenhaft, findest du nicht auch?«
    Meine Wangen wurden heiß. Was völlig albern war, denn mein Leben lang hatten mir hochqualifizierte Lehrer und Leute »aus dem Musikgeschäft« gesagt, dass ich gut war. Ich hatte das schon so oft gehört, dass es mir nichts mehr bedeutete. Aber es aus seinem Mund zu hören, ließ mein Herz höherschlagen.
    »Mädchenhaft«, schnaubte ich verächtlich.
    Luke nickte. »Aber du könntest es noch viel besser. Du strengst dich nicht richtig an, sondern bist so
zahm

    Augenblicklich war ich gereizt. Ich hatte »The Faerie Girl’s Lament« monatelang geübt, es mit so vielen unvorstellbaren Ausschmückungen und zusätzlichen Akkorden arrangiert, dass selbst zynische Harfenisten vor Ehrfurcht auf die Knie fallen müssten. Das Urteil »zahm« konnte ich nicht hinnehmen, nicht einmal von diesem rätselhaften Luke Dillon.
    »Weniger zahm wäre schlicht unmöglich«, erklärte ich gelassen. Ich habe zwar das hitzige Temperament meiner Mom geerbt, aber genau wie sie zeige ich es nie. Stattdessen werde ich immer frostiger, bis mein Gegenüber unter einer Eisschicht erstarrt.

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