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Lamento

Titel: Lamento Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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nicht?«
    »Nein, ich habe mich eher gefragt, ob es am Ende einen Kuss geben wird oder traurige Musik und einen dramatischen Kameraschwenk über die Felder und Wiesen, die ich einst frei durchstreifte.« Er warf mir einen Blick zu und strich mit dem Zeigefinger über meinen Handrücken, ehe er sich wieder der Straße zuwandte. »Ich hoffe natürlich auf den Kuss, rechne aber eher mit dem dramatischen Kameraschwenk.«
    Ich runzelte die Stirn. »Kannst du mir sagen, wer dir das vorhin in der Küche angetan hat?«
    Luke zögerte, als probierte er die Idee erst aus. »Jemand … der anfangs war wie du.«
    »Das ist ja sehr spezifisch.«
    »Ich
kann
nicht spezifischer sein.«
    Ich starrte mit zusammengekniffenen Augen ins Abendlicht und dachte darüber nach, wie ich war. »Schüchtern? Mit eiserner Faust von der Mutter beherrscht? Musikalisch?«
    Luke stöhnte nur. »Denk einfacher.«
    »Weiblich? Menschlich?«
    »Bing! Das Mädchen hat einen Preis gewonnen!« Auch ihn blendete die Abendsonne, und er setzte eine Sonnenbrille auf, mit der er fast unerträglich cool aussah. Es war unfair, dass er so viele Geschütze besaß, mit denen er Deirdre mitten ins Herz treffen konnte. Er fuhr fort: »Wenn sie also theoretisch so wie du wäre, könnte ich über dich sprechen, und du würdest etwas über sie erfahren, ohne dass ich Schwierigkeiten bekomme.«
    »Davon kriege ich zwar Kopfschmerzen, aber ich glaube, ich verstehe, was du meinst.«
    »Okay. Reden wir über deine besondere Gabe. Sie kann nichts daran ändern, wer du bist. Es ist …« Er suchte nach den richtigen Worten. »Es ist wie ein Rausch. Wenn du betrunken bist, ändert das nichts daran, wer du bist – es nimmt dir nur die Hemmungen. Es macht dich
mehr
zu dir. Wenn du also einen Hang zur Gemeinheit hast, wirst du zu einem fiesen Betrunkenen. Bist du ein netter Mensch, wirst du einer von diesen leutseligen Betrunkenen.
Du
bist ein verrücktes, sehr begabtes Mädchen mit erstaunlicher Willenskraft, und diese Gabe verstärkt das alles um ein Tausendfaches.«
    »Du hast mich schon erobert. Du brauchst mir keine Komplimente zu machen.«
    Luke winkte ab. »Das liegt in meiner Natur. Ich kann nicht anders. Du hast einen unglaublich süßen Pferdeschwanz, den ich am liebsten ständig anfassen würde. Das ist mir jetzt einfach so herausgerutscht.«
    »Wenn du es so weit treibst, dass ich rot werde, muss ich dir eine runterhauen.« Seine plötzliche Unbeschwertheit brachte mich völlig durcheinander – dies war der Luke, der beim Wettbewerb mit mir geflirtet hatte, nicht der Luke, der in einem Grabmal blutige Tränen weinte oder sich in der Küche in Erinnerungen verlor. Ich hatte ihn vermisst.
    Er warf mir einen Blick zu und belohnte mich mit einem strahlenden Lächeln.
    Ich biss mir auf die Lippe und errötete trotzdem. »Also, weiter mit dieser Gabe. Ich nehme an, dieser Jemand, der mir recht ähnlich, aber nicht Ich ist, war
kein
netter Mensch, der dann supernett wurde, nachdem sich seine Gabe bemerkbar gemacht hat.« Das Wort »Gabe« sprach ich bewusst sarkastisch aus, denn ich hatte noch längst nicht entschieden, ob ich Lukes Bezeichnung zustimmen konnte.
    »Nein. Jemand, der dir möglicherweise ähnelt und möglicherweise etwas mit meinem Zustand zu tun hat, war ein gemeines, paranoides, verrücktes Mädchen, das andere gern herumkommandiert hat. Und als die Gabe an ihr zum Vorschein kam, wurde sie zu einer gemeinen, paranoiden, verrückten Königin, die andere herumkommandierte und ihnen weh tat, wenn sie sich ihr widersetzten. Sie hat sehr vielen Menschen weh getan.«
    Ich dachte darüber nach. »Und was für eine Rolle spielst du bei all dem?«
    »Vielleicht eine in dem Teil mit dem Wehtun. Falls ich versuchen sollte, es dir zu erklären, meine ich.« Sein Blick huschte kaum merklich zu seinem Armreif.
    »Und was habe ich damit zu tun?«
    »Da wären wir bei der Paranoia.«
    »Sie fürchtet sich vor Harfen?«
    »Denk
nach
, Dee. Denk nach. Worüber haben wir eben gesprochen?«
    Allmählich dämmerte es mir. »Meine Telekinese. Das hast du vorhin in der Küche gemeint – dass du ihr erzählt hast, ich würde keine Bedrohung darstellen.« Ich überlegte weiter. »Aber das ist doch völlig idiotisch. Wenn sich bei dem Wettbewerb niemand an mich herangemacht hätte und perverseFreaks mich nicht tagelang mit vierblättrigen Kleeblättern beworfen hätten, dann hätte ich nie erfahren, dass es Feen überhaupt gibt. Die Einzigen, für die ich eine Bedrohung darstellen

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