Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Lamento

Titel: Lamento Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
Vom Netzwerk:
könnte, wären nach wie vor Leute, die mir vor einem Auftritt auf dem Weg zur Toilette in die Quere kommen.«
    Luke grinste. Ich hatte ihn noch nie so fröhlich erlebt. »Da wären wir beim paranoiden Aspekt.«
    »Aber ich kann doch nicht die Einzige sein, die – oh.« Auf einmal erkannte ich den Grund für den Berg von Leichen in Lukes Erinnerung. »Deswegen hast du – oh.« Und nun ergaben auch die Unterhaltungen, die ich belauscht hatte, einen Sinn. »Sie zwingt dich also dazu, das zu tun. Warum dich?«
    Luke antwortete mit einer Gegenfrage. »Warum nicht Eleanor?«
    Ich sah Eleanor vor meinem inneren Auge, wie ihre eleganten Finger von mir und dem Schlüssel um meinen Hals zurückzuckten. »Eisen … Eleanor kann es nicht berühren. Aber kann die Königin es auch nicht berühren? Sie ist doch ein Mensch.«
    »Nicht ganz – nicht mehr.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Aber ich habe dich gesehen. Ich habe gesehen, was du dabei empfindest. Wie kann sie dich dazu zwingen?«
    »Du weißt, dass ich dir das nicht sagen kann.«
    Ich dachte daran, wie Luke sich den Dolch ins Herz gerammt hatte, um sich selbst zu vernichten. Daran, wie er mich im Grabmal kleinlaut gefragt hatte, ob ich ihm je verzeihen würde. Was auch immer ihn dazu zwang, diese Leute zu ermorden – es musste schrecklich sein. In diesem Moment kam mir ein grauenhafter Gedanke. »Du fällst doch nicht etwa in eine Art Trance, oder? Macht sie das mit irgendeiner magischen Hypnose-Fernsteuerung?«
    Luke schüttelte den Kopf. »Bedauerlicherweise bin ich die ganze Zeit über vollständig bei Bewusstsein. Aber dann kamst du und hast mich fasziniert, und da war es vorbei.« Sein unvermitteltes Grinsen entwaffnete mich. »Mir ist richtig schwindlig. Ist das Liebe?« Ehe ich antworten konnte, trat er abrupt auf die Bremse. »Ist es hier?«
    Ich blickte auf. »Ja.«
    Die riesige Backsteinvilla der Warshaws stand ein gutes Stück von der Straße zurückversetzt und wurde von einer eindrucksvollen Säulenfassade dominiert. Davor breitete sich eine weite, abfallende Rasenfläche aus. Luke steuerte Bukephalos die steile Auffahrt hinauf und betrachtete das makellos gepflegte Anwesen. »Ich sehe keine anderen Autos. Bist du sicher, dass die Uhrzeit stimmt?«
    »Es ist halb acht, oder nicht?« Die Uhr am Armaturenbrett bestätigte das. »Dann müssten wir richtig sein. Mrs. Warshaw hat gesagt, die Party finge um acht an, ich solle einfach ums Haus herumgehen und meine Harfe im Pavillon aufbauen. Ich war schon mal hier, zur Hochzeit ihrer Tochter. Die Warshaws sind Freunde meiner Mutter.«
    »Deine Mutter hat
Freunde?«
    »Sei nicht so gemein!«
    Grinsend parkte Luke neben dem Haus, holte meine Harfe heraus, kam um den Wagen herum und nahm mich fest bei der Hand. Gemeinsam gingen wir um die große Villa nach hinten, vorbei an zu Skulpturen geschnittenen Büschen und einem Springbrunnen – ein kleiner Junge, der in ein Becken pinkelte. Sollte ich je reich und berühmt werden, würde mich das viele Geld hoffentlich nicht so verkorksen, dass ich pinkelnde kleine Jungs als hübsche Gartendeko betrachtete.
    Der weitläufige Garten hinter dem Haus war menschenleer, aber an der Wand nahe der Hintertür lehnten Klapptische undlange Reihen von Klappstühlen. Ich führte Luke durch die Abenddämmerung zum Pavillon, einem Kreis aus Säulen mit Backsteinboden und einem weißen Kuppeldach.
    »Wir müssen aber sehr früh dran sein«, bemerkte Luke. Er holte mir einen Klappstuhl, setzte sich an den Rand des Pavillons und sah zu, wie ich meine Harfe auspackte. Nach ein paar Minuten des Schweigens bemerkte er: »Ich weiß von deinem Bruder.«
    Ich war gerade dabei, meine Harfe zu stimmen, und blickte verblüfft auf. »Meinem Bruder?«
    Er griff in seinen schmuddeligen Segeltuchrucksack und holte den Flötenkasten heraus. »Aus einer deiner Erinnerungen. Wie alt warst du, als deine Mutter ihn verloren hat?«
    Ich hätte so tun können, als wüsste ich es nicht mehr. Aber die Wahrheit war, dass ich mich haargenau an den Monat, den Tag und die Stunde erinnerte, als Mom das Baby verloren hatte – was ich an diesem Tag zum Frühstück gegessen hatte und wie das Wetter gewesen war. Ich fragte mich, was Luke in meinem Kopf noch alles ausgegraben haben mochte. »Zehn.«
    Geschickt setzte er die Flöte zusammen, während sein Blick den Rand des Gartens absuchte, wachsam wie immer. »Ist es dir unangenehm, darüber zu sprechen?«
    Ich erinnerte mich daran, wie Moms dicker Bauch zu früh

Weitere Kostenlose Bücher