LaNague 01 - Der Heiler
der wenigen Trauernden, als der Körper der Frau behutsam in die Maschine gelegt wurde, die ihn in seine Grundbestandteile auflösen würde. Er fühlte keinen Grund für Tränen. Sie hatte ein erfülltes Leben gehabt, die zweite Hälfte ihres Lebens hatte sie an seiner Seite verbracht. Und als die Verjüngungsbehandlungen schließlich keine Wirkung mehr gezeigt hatten, und sie feststellen mußte, daß ihre geistigen Fähigkeiten langsam nachließen, beendete sie still und ruhig ihr Leben, so daß sich ihr Geliebter ihrer immer als die stolze Frau erinnern würde, die sie gewesen war und nicht als die, die sie werden könnte. Und nur der Heiler, ihr Geliebter, wußte, wie sie gestorben war.
Der runzlige kleine Mann neben ihm ahnte natürlich etwas. Und billigte es. Schweigend beobachteten sie zusammen mit den übrigen, wie die Maschine ihren Körper verschluckte, und alle atmeten tief die Luft um sie herum ein, die von ihren Molekülen erfüllt war, jeder bemüht, einen winzigen Teil des so geliebten Menschen in sich aufzunehmen.
Der alte Mann sah seinen Begleiter an, der in all der Zeit, die er ihn nun schon kannte, nicht um einen Tag gealtert schien – zumindest oberflächlich betrachtet. Aber in den letzten Jahren zeigten sich in seinen Augen die Anzeichen von seelischer Belastung und Müdigkeit. Ein halbes Jahrhundert voll Krankheit und Entstellung von Geist und Körper, ausgestreckten Händen und glänzenden Augen lag nun hinter ihm, und endlose Jahre mit dem gleichen Bild erwarteten ihn wahrscheinlich noch.
»Du siehst müde aus, mein Freund.«
»Das bin ich auch.« Die anderen begannen sich zu zerstreuen. »Es erscheint mir alles so sinnlos. Für jeden Geist, den ich öffne, werden zwei neue verschlossen. Der Druck wächst beharrlich an – ›komm zu uns‹ – ›nein, komm zu uns, wir brauchen dich dringender!‹ Wohin ich auch gehe, überall gehen Argumente, Drohungen und Bestechungen zwischen den wetteifernden Planeten voraus. Ich bin wohl ein begehrter Handelsartikel geworden.«
Der alte Mann nickte verständnisvoll. »Und wohin willst du nun gehen?«
»Ich werde privat praktizieren. Das habe ich jedenfalls vor. Ich bin nur deinetwegen – und ihretwegen – so lange bei IMC geblieben. Im Augenblick wartet ein Sektorenabgeordneter auf mich. Er heißt DeBloise.«
»Ein Restrukturist. Sei vorsichtig.«
»Das werde ich sein.« Der Heiler lächelte. »Aber ich werde mir anhören, was er zu sagen hat. Leb wohl, mein Freund«, sagte er und ging davon.
Der runzlige Mann bückte ihm wehmütig nach. »Hätte ich doch nur deine Begabung.«
*
Der Sektorenabgeordnete DeBloise hielt sich schon seit einiger Zeit für einen ziemlich wichtigen Mann, und doch brauchte er ein paar Minuten, um sich auf die Anwesenheit des Mannes einzustellen, der da ruhig vor ihm auf der anderen Seite des Schreibtisches saß, ein Mann mit unverwechselbarem Aussehen, der in den vergangen Jahrzehnten zu einer fast mythischen Gestalt geworden war: der Heiler.
»Um es kurz zu fassen«, sagte DeBloise mit schönstem Werbelächeln, »wir von der Restrukturistenbewegung möchten Sie dafür gewinnen, auf unsere Planeten zu kommen. Es scheint, daß Sie es sich in der letzten Zeit zur Gewohnheit gemacht haben, uns aus dem Weg zu gehen.«
»Weil ich für das Planetennetz von IMC gearbeitet habe, in das sich die Restrukturisten ja nicht eingliedern wollen … es soll etwas damit zu tun haben, daß IMC zu den Befürwortern der LaNague Charta gehört; so hat man mir jedenfalls gesagt.«
»Das gehört auch dazu.« Das Lächeln wurde noch einschmeichelnder, als er fortfuhr: »Die Politik mischt anscheinend überall mit, finden Sie nicht auch? Aber das ist jetzt nicht mehr von Bedeutung, da man mir berichtet hat, daß Sie nicht länger für IMC arbeiten. Deshalb bin ich hier. Ich möchte, daß Sie nach Jebinose kommen; unsere Abteilung für Medizin und Forschung wird alle Ihre Honorarforderungen bezahlen.«
»Ich arbeite nur für Patienten, nicht für Regierungen«, entgegnete Dalt langsam.
»Wenn Sie damit andeuten wollen, daß Sie die Absicht haben, auf Jebinose unabhängig von unserer Abteilung zu praktizieren, muß ich Ihnen leider sagen, daß wir dies nicht dulden würden. Sehen Sie, wir stellen auf unserem Planeten sehr hohe und sehr strenge Ansprüche an praktizierende Ärzte, und wenn wir Ihnen eine Lizenz zur Ausübung Ihres Berufes erteilen würden, so wäre das – trotz Ihres guten Rufes – ein schlechter
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