LaNague 04 - Detektiv im Cyberland
irgendwen das Messer zu wetzen.«
»Sie sind zuverlässiger als der DataFluß, das kann ich Ihnen versichern.«
»Wenn Sie es sagen.«
Ich wollte ihm da nicht widersprechen. Einige Leute schworen auf die Untergrundschreiber, die ihre Zeit damit verbrachten, unzensierte Kapseln in den DataFluß zu schmuggeln und angeblich ›Nachrichten zu bringen, die den Tag nicht überstehen‹.
»Dann haben Sie wahrscheinlich nichts von den beiden Streunern gehört, die man vor zwei Tagen zerschmettert am Fuß des Boedekker-North-Gebäudes gefunden hat.«
Ich schüttelte den Kopf. Nein, das hatte ich nicht. Aber es haute durchaus hin, daß davon im DataFluß nichts erwähnt worden war. Zwei tote Kids mit nicht registrierten Genotypen waren zweifellos Streuner. Offiziell gab es keine Streuner, daher tauchten Meldungen über ihr Ableben niemals im DataFluß auf.
Jeder wußte, daß die Megalopolis über ihr Kontingent an Streunern verfügte, aber ihre Existenz wurde niemals von jemand bestätigt, der zur M.A. oder zu den offiziellen Medien gehörte. Zuzugeben, daß Streunerbanden existierten, war gleichzeitig ein Eingeständnis, daß es ein Problem gab, und das würde es erforderlich machen, daß jemand eine Lösung für dieses Problem finden müßte. Und damit wollte niemand etwas zu tun haben.
Daher lebten die Streunerbanden in einem gesetzlichen Niemandsland. Illegale Kinder von Realleuten, so real wie Mr. Khambot oder ich, aber nicht existent, soweit es die Central Authority betraf. Selbst die Klons hatten einen höheren Status.
»Sie meinen, daß ich mich erkundigen soll, ob Ihr Kind möglicherweise eines der Toten ist?«
Das wäre einfach. Ich brauchte nur …
»Das habe ich schon selbst getan. Sie war nicht dabei. Ich möchte, daß Sie sie suchen und zu mir bringen, wenn Sie sie gefunden haben.«
»Und weshalb, verdammt noch mal?«
»Ich möchte nur sicher sein können, daß sie lebt und daß es ihr gutgeht.«
Mr. Khambot rutschte noch eine Stufe höher. Unter dieser geckenhaften Fassade verbarg sich ein Typ, der noch eine ganze Menge für das Kind empfand, das auf der Straße auszusetzen er gezwungen war. Unter all dieser schrillen Staffage steckte wirklich ein menschliches Wesen.
Trotzdem gefielen mir die Risiken gar nicht, die sich ergaben, wenn ich versuchte, ein spezielles Kind in den Streunerbanden aufzustöbern. Die Kids wurden als Säuglinge aufgegabelt und besaßen außerhalb ihrer jeweiligen Gruppe keinerlei Identität. Das Mädchen, nach dem ich suchen sollte, würde keine Ahnung haben, daß sie die kleine Khambot wäre, und niemand sonst würde es wissen.
»Ich weiß nicht …« sagte ich langsam.
Er beugte sich vor, hing über meinem Schreibtisch. »Ich habe Abdrücke – Finger, Fuß und Netzhaut. Ich habe sogar ihren Genotypus. Sie müssen sie für mich suchen, Mr. Dreyer. Sie müssen es einfach tun.«
»Ja, aber …«
»Ich bezahle Sie in Gold – im voraus!«
»Nun, ich denke, ein Versuch kann nicht schaden.«
3
Ich ging noch an diesem Nachmittag zum Battery-Komplex hinunter. Laut Khambot hatte er vor drei Jahren das Kind unweit des Okumo-Slater Buildings, wo es sich zum Governor’s Island hinüberschwingt, ausgesetzt. Ehe ich mich dorthin begab, füllte ich einen großen Sack mit Brot, Milch, Käse und Sojawürfeln. Nun stand ich da und wartete.
Hier unten war es ziemlich düster. Der Kalender verkündete, daß Sommer war, aber wenn man das bißchen Himmel betrachtete, das von hier unten zu sehen war, hätte jede Jahreszeit herrschen können. Die dicht an dicht stehenden Wolkenkratzer schafften es perfekt, die Jahreszeiten total auszusperren. Ihre Schatten hielten im Sommer die Sonne ab, und die Hitze, die aus ihnen abstrahlte, verdrängte die Winterkälte. Hier unten gab es weder Tag noch Nacht, sondern nur ein düsteres, ewiges Zwielicht.
Hoch über mir konnte ich die leuchtende Südfassade des Leason Building sehen, die aussah wie ein Teil der Hängenden Gärten Babylons. Vor jedem Fenster, das sich öffnen ließ, hingen überladene Blumenkästen, in denen Grünzeug wucherte. Fenstergärten waren die neueste Mode in der Megalopolis. Bei einigen Gebäuden mutete es seltsam an, wenn man grüne Flecken sah, die sich durch die holographischen Hüllen schoben. Vor kurzem hatte auch ich ein kleines Beet vor meinem eigenen Wohnabteilfenster angelegt. Und warum auch nicht? Angesichts der Preise für frisches Gemüse war es durchaus sinnvoll, eigene Grünkost anzubauen, wo immer man
Weitere Kostenlose Bücher