LaNague 04 - Detektiv im Cyberland
dazu eine Möglichkeit fand. Und wenn man auf der Nordseite wohnte oder in den unteren Etagen, dann züchtete man Champignons.
Und noch weiter unten, im ewigen Schatten, lebten die Streuner.
Ich dachte darüber nach, wie es sein mußte, wenn man gezwungen war, sein Kind wegzugeben, es auszusetzen. Ich glaubte nicht, daß ich dazu je fähig wäre. Ich hatte Lynnie verloren, aber das war etwas anderes. Sie wurde mir von ihrer Mutter weggenommen – eines Tages suchte ich sie, und da war sie weg. Aber ich wußte wenigstens, daß sie lebte und daß es ihr gutging. Das war schon besser, als sich vorstellen zu müssen, daß sie zu einer Streunerbande gehörte. Und es war verdammt viel besser, als wenn die Bevölkerungs-Kontrolle sie beseitigt hätte, weil sie überzählig war.
Es gab keine Rettung für ein Kind, das aus der Ersatz-Quote herausfiel. Der Staat verlieh sich selbst per Gesetz das alte Abtreibungsrecht und verfügte die zwangsweise Abtreibung. Falls das Kind bis zur Geburt ausgetragen wurde, mußte es eben anschließend beseitigt werden. Man konnte noch nicht einmal sein eigenes Leben gegen das des Kindes tauschen. Es gab keine Ausnahmen. Die Central Authority war darin überaus strikt. Sie konnte die Einhaltung der Ersatz-Quote nur durchsetzen, indem sie sie zur Norm erklärte und keine Abweichungen zuließ. Falls die Nachricht von einer Ausnahme nach außen dränge, bräche das totale Chaos aus. Die Bevölkerung würde protestieren, und das gesamte Gefüge würde auseinanderbrechen.
Vielleicht war diese Politik noch vor zwei Generationen notwendig gewesen, da zu dieser Zeit der Planet kurz vor dem Verhungern und dem allgemeinen Kollaps stand. Aber die Zeiten hatten sich gebessert. Die Bevölkerungszahl war auf einen günstigeren Wert gesunken, und dank photosynthetischen Viehs in Antarktika und in den Wüsten sowie Getreidelieferungen von den Außenwelten standen Nahrungsmittel in immer größeren Mengen zur Verfügung. Ich fragte mich, ob wir das Quotensystem tatsächlich noch immer aufrecht erhalten mußten. Vielleicht hatte die C.A. Angst, daß auch nur eine kleine Lockerung in diesem Bereich zu einer Bevölkerungsexplosion, zum größten Babyboom der Menschheitsgeschichte führen würde.
Obgleich es angefangen hatte, lange bevor ich geboren wurde, war mir die ganze Angelegenheit immer ziemlich drastisch vorgekommen. Die meisten Leute meinten, daß der Zweck die Mittel heilige – wenn die C.A. keine drakonischen Maßnahmen ergriffen hätte, wären wir wohl allesamt verhungert. Die zwangsweise Sterilisation, nachdem man sich selbst ersetzt hatte, war nicht so schlimm, doch die Beseitigung von Babys, die über die Ersatz-Quote hinaus geboren wurden, war eigentlich niemals richtig akzeptiert worden. Ein Gutes schien dieses Ersatz-Quoten-Gesetz jedenfalls doch bewirkt zu haben: Die Eltern sorgten sich aufrichtig um ihre Kinder.
Ich hatte meine Tochter wie wahnsinnig geliebt, als sie noch da war. Und es hatte mir furchtbar weh getan, als ihre Mutter sie mir wegnahm.
»Krichich was, San?«
Ich schaute hoch in die Runde, und da stand diese Dreijährige und strahlte mich an und hielt die Hand auf. Sie war mit einem kleinen rosafarbenen Overall bekleidet, ihr Gesicht war frisch gewaschen, die Wangen leuchteten rot, ihr Lachen war engelsgleich, und die blonden Haare umgaben ihren Kopf wie eine schimmernde Wolke. Dieses kleine Gesicht animierte einen dazu, seine Taschen ausleeren und seinen Schmuck abnehmen und die Schuhe ausziehen und ihr alles geben zu wollen.
Ich suchte ihre Beschützer und fand gleich zwei Gruppen – zwei Zwölfjährige an der Ecke und zwei jüngere Kinder in einem Hauseingang fünfzig Meter entfernt. Wenn ich jetzt irgendwas Seltsames mit der Kleinen anstellte, dann würden sie sich wie ein Rudel wilder Hunde auf mich stürzen.
Ich zog einen billigen Ring vom Finger, den ich eigens für diese Gelegenheit gekauft hatte.
»Nimm das«, sagte ich und reichte ihn ihr. »Und bestell deinen Freunden, sie können alles Essen in dem Sack hier haben, wenn ich mal kurz mit ihnen sprechen kann.«
Ihr Lächeln wurde noch strahlender, als sie sich den Ring schnappte und den Block hinunterrannte. Ich verfolgte, wie sie mit den beiden an der Ecke sprach, sah, wie diese den beiden im Hauseingang ein Zeichen gaben. Plötzlich tauchte aus einer anderen Richtung noch ein weiteres Beschützerpaar auf. Sechs Wächter für eine kleine Bettlerin – entweder war sie unwahrscheinlich wertvoll, oder sie
Weitere Kostenlose Bücher