LaNague 04 - Detektiv im Cyberland
wies auf die leuchtende Speisekarte in der Tischplatte vor ihm. Der Tisch hatte die einzelnen Gerichte mit seiner eintönigen weiblichen Stimme vorgelesen, wobei er jeweils die entsprechende Textzeile aufleuchten ließ. Ich ging die gedruckte Liste durch. Meine Lesefähigkeit ließ einiges zu wünschen übrig, obgleich ich im vergangenen Jahr schon erhebliche Fortschritte gemacht hatte.
»Ja. Da steht’s: Steak mit Champignonsoße. Aber es ist kein echtes Steak von frei weidenden Stieren.« Jedenfalls nicht zu den niedrigen Preisen, die das Restaurant verlangte. Denn so etwas konnte sich so gut wie niemand leisten. »Du kannst entweder ein Steak vom Chlor-Rind haben oder ein Sojasteak.«
»Chlor-Rind?«
Ich hatte jetzt keine Lust, ihm etwas über photosynthetisches Vieh zu erzählen, daher sagte ich: »Das Sojasteak schmeckt im großen und ganzen genauso wie ein echtes Steak. Und es ist größer.«
»Ich Sojasteak. Zwei.«
»Ich hätte gerne ein Sojasteak, bitte, und nein, du bekommst keine zwei, du kriegst nur eins. Es ist schließlich ein großes – ein halbes Kilo schwer.« Er verzog das Gesicht, daher meinte ich: »Wenn du es verputzt hast und immer noch hungrig bist, bestelle ich dir noch eins.«
Er lächelte, und für einen winzigen Augenblick war er ein richtiger kleiner Junge.
Ich bestellte noch ein Krabbenkultur-Sandwich und ein Bier für mich. Ich kam mir vor wie sein Vater, als ich ihm half, seine Bestellung in die Konsole einzutasten, und ihm gestattete, auch noch eine Schokoladensojamilch und eine doppelte Portion Kartoffeln dazuzunehmen. Seit verdammt vielen Jahren war nicht mehr von mir verlangt worden, den Vater zu spielen. Seit zehn Jahren, um genau zu sein. Vermittelte mir ein seltsam warmes Gefühl, an das ich mich glatt gewöhnen konnte, wenn ich mich nicht vorsah. »Wie heißt du, Junge?«
»B.B.«
Das war leicht zu merken. »Okay, B.B. Dein Essen wird gleich kommen. Also mach’s dir gemütlich und freu dich drauf.«
Ich beobachtete ihn, während wir warteten. Er konnte seine Blicke nicht von den Servierern lösen, die vorbeirollten. Zweimal glaubte ich, daß er sich gierig auf einen Dessertwagen stürzen würde. Schließlich kam ein Servierer herangerollt und schob unsere Mahlzeiten auf den Tisch. Als er sich erkundigte, ob wir unsere Bestellung vielleicht noch abändern wollten, antwortete ich mit nein und steckte meinen Daumen in den Zahlschlitz. Während er sich wieder entfernte, wandte ich mich zu dem Streuner um. Er hatte das Steak in beide Hände genommen und biß hinein.
»Leg das hin!« sagte ich in meinem lautesten Flüsterton, den ich zustande brachte. Zu seinem Lob muß ich sagen, daß er es nicht fallen ließ und mir auch keine Gegenfrage stellte. Er legte es auf den Teller zurück.
»Wassn los?« erkundigte er sich mit einem verletzten Gesichtsausdruck, während er sich die Soße von den Lippen leckte.
»Willst du mich in Verlegenheit bringen? Hast du schon mal was von einem Messer gehört?«
»N’türlich.«
»Nun, wenn du nicht willst, daß jeder in diesem Laden erkennt, daß du ein Streuner bist, dann solltest du es benutzen!«
Er machte weiter, indem er das Steak mit der linken Hand festhielt, während er mit dem Messer in der Rechten zu schneiden versuchte. Ich stand kurz vor einem Wutausbruch, als mir klar wurde, daß er gar nicht versuchte, mich in Rage zu bringen.
»Okay, leg alles hin«, sagte ich leise.
Er tat es, wenn auch widerstrebend, und saß dann da und leckte seine Finger ab.
Wenn ich mit ihm hier sitzen bleiben mußte, dann wollte ich nicht, daß er sich selbst zum Gespött machte. Ich hielt meine Gabel hoch und erklärte: »Die benutzt du statt deiner Finger, wenn du mit Realleuten ißt. Man nennt dieses Ding Gabel. Und so wird sie benutzt.«
Als ich mein Messer ergriff und über den Tisch langte, um es ihm zu zeigen, beugte er sich ruckartig vor und bedeckte seinen Teller mit den Händen. Genauso schnell zog er sie jedoch wieder weg und lehnte sich zurück. Reiner Instinkt, vermutete ich. Ich stach die Gabel in die angebissene Ecke und schnitt durch seine Beißspuren und reichte ihm dann die volle Gabel. Ich sah, wie er sie ergriff und sie sich in den Mund schob, beobachtete weiter, wie er die Augen schloß, während er kaute. »Steak?« erkundigte er sich mit gepreßter Stimme, nachdem er den Bissen heruntergeschluckt hatte.
»Nun, es ist etwas, daß fast genauso schmeckt wie ein Steak. Nur die Champignons sind echt.«
Er stürzte sich
Weitere Kostenlose Bücher