LaNague 05 - Der Tery
zurückgezogen. Es war nicht etwa so, daß er sie für Nahrung und Schutz brauchte – er genoß es ganz einfach, in ihrer Gesellschaft zu sein. Vielleicht waren die Gefühle, die Adriel am vorigen Tag in ihm geweckt hatte, doch nicht so unnatürlich …
Er konnte seinen Gedanken nicht weiter nachhängen, weil Rab ihm eine Hand auf die Schulter legte. Sie waren auf dem obersten Treppenabsatz angelangt, wo ihnen eine große Holztür den Weg versperrte. Rab vernahm eine Stimme von innen, drückte Dennel zur Seite und stieß die Tür vorsichtig auf.
Ein schlanker, ergrauter Mann stand in der Mitte des Raumes, einen Weinbecher in der Hand. Er trug eine befleckte Tunika, die von einem Ledergürtel gehalten wurde, an welchem ein Kurzschwert in seiner Scheide hing.
Der Tery vernahm, wie Rab »Kitru« vor sich hin flüsterte.
Der Herr der Burg schwankte leicht, als er sich aus einem silbernen Krug eine rote Flüssigkeit eingoß. Adriel war mit dem Rücken zu Rab und Tery auf einem Stuhl festgebunden.
»Dämliche Ärzte!« rief Kitru dem Mädchen zu. »Sie haben mir gesagt, die Drogen würden dich völlig unterwürfig machen – diese Narren! Die ganze Nacht habe ich vergeblich darauf gewartet, daß sie endlich bei dir wirken!« Laut schlürfte er von dem Wein. »Aber wenn es hell ist und ich ein wenig geruht habe, werden wir etwas Neues versuchen – die Schmerzensschreie deines geliebten Tiers werden dich hoffentlich etwas willfähriger machen. Und wenn auch das nichts nutzt, dann werden wir dafür sorgen, daß uns dein Vater lebendig in die Hände fällt, wenn er hier ankommt, um dich zu befreien. Jedenfalls werde ich, bis Mekk eintrifft, über einen gehorsamen Finder verfügen, auch wenn er nicht mit Begeisterung bei der Sache sein sollte. Verstehst du?«
Beim Anblick von Adriel ließ der Tery alle Vorsicht fahren und stürzte in den Raum. Von dem Eindringling erschreckt, griff Kitru instinktiv nach seinem Schwert. Die Klinge war aus der Scheide, bis der Tery in erreicht hatte, doch bevor er mit ihr zustoßen konnte, hatte der Tery sie ihm entrissen und seine langen Finger um Kitrus Kehle gekrallt.
»Nicht!« schrieb Rab, der wußte, was geschehen würde. »Halte ihn einfach fest, bis ich das Mädchen untersucht habe!«
Er beugte sich über Adriel. Ihr Gesichtsausdruck war leer, die Pupillen erweitert. Als Rab ihre Schulter schüttelte, rollte ihr Kopf vor und zurück, aber sie gab keinen Laut von sich.
Rab drehte sich zu dem Tery um, der ein drohendes Knurren ausstieß. »Es ist alles in Ordnung. Ich kenne die Wirkungsweise dieser Droge. Bis zum Mittag bleibt sie in diesem Zustand, dann wird ihr übel werden, und danach wird sie wieder die alte Adriel sein.« Er bemerkte, daß Kitrus Gesicht unter dem Griff des Tery allmählich ein fleckiges Blau annahm. »Laß ihn jetzt los, aber paß gut auf ihn auf – wir brauchen ihn, damit wir ungefährdet durch das Haupttor gelangen.«
»Wer bist du?« brachte der auf dem Boden zusammensackende Kitru keuchend hervor und rieb sich seinen gequetschten Kehlkopf.
»Erinnerst du dich an den Verrückten Rab, den du hast in den Kerker werfen lassen?« fragte Rab mit schneidender Stimme, während er Adriel losband. »Damals war ich ein vorzeigbares Mitglied der menschlichen Gesellschaft, aber unter diesem Bart und dem Schmutz steckt noch immer derselbe naive Gelehrte.«
»Wie seid ihr hochgekommen?«
»Auf demselben Weg, den wir auch für den Rückzug benutzen werden«, sagte Rab und löste den letzten Knoten. »Über die Treppe.« Er erhob sich. »Das wäre erledigt. Nun, wo sind meine Bücher?«
Mit einem Ruck seines Kopfes deutete Kitru auf einen dunklen Winkel des Zimmers. »Aber es sind nur noch vier.«
»Ich weiß«, sagte Rab und ging zu der bezeichneten Stelle. »Dennel hat mir berichtet, daß du einen Band zu Mekk geschickt hast mit der Botschaft, du habest einen Finder in deine Gewalt gebracht. Beide Meldungen werden sich als falsch herausstellen – Mekk wird bei seiner Ankunft weder einen Finder noch Bücher vorfinden. Und das wird ihm gar nicht gefallen.«
»Ach, ist das nicht Dennel?« sagte Kitru und ließ seine Augen auf dem jungen Mann ruhen, der in der Türöffnung kauerte.
»Wie es scheint, verrätst du jeden.«
»Nein, Herr! Ich schwöre, sie haben mich gezwungen …« Seine Stimme verhallte, da er keine Spur von Verständnis in Kitrus Gesicht fand.
Der Tery blickte auf Adriel nieder, die in ihrem Stuhl zusammengesunken war. Sie sah – tot aus. Er
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