LaNague 05 - Der Tery
herauskommen. Ich habe eine Idee, wie wir es anstellen könnten. Wenn wir es schaffen, ungesehen die Treppe hinunterzukommen …«
»Es gibt hier in der Burg noch eine offene Rechnung zu begleichen«, sagte der Tery. In dieser Nacht hatte er das Blut der Rache geschmeckt und gierte nach mehr. Ein weiteres Leben mußte ausgelöscht werden, damit das Gleichgewicht wiederhergestellt war. Der Schlächter seiner Eltern lebte unten in der Kaserne.
»Wovon redest du?«
»Der Hauptmann, der sich Genthren nennt, muß sterben, bevor ich von hier weggehe.«
»Genthren ist vor kurzem aufgebrochen«, sagte Dennel von der Türe her. »Er wurde mit einem Muster der Bücher und mit Nachrichten über den gefangenen Finder zu Mekks Festung gesandt. Er ist fort.«
»Vergiß ihn«, sagte Rab und warf sich den Bücherpacken über die Schulter.
Der Tery schwieg, aber er wußte, daß er ihn nicht würde vergessen können. Solange Genthrens Blut nicht ebenso wie das seines Vaters und seiner Mutter die Erde getränkt hatte, war das Gleichgewicht nicht wiederhergestellt.
Dennel hinter sich herziehend, eilte Rab zur Treppe. »Komm. Wir werden dich schon lebendig hier herausbekommen.«
Der Tery, der Adriels schlaffen Körper so sanft wie möglich in seinen Armen trug, bildete die Nachhut. Er ließ den vor ihm gehenden Dennel nicht aus den Augen, und als sie um eine Treppenbiegung gingen, fiel ihm eine leichte Veränderung in der Haltung des jungen Mannes auf. Seine schwächliche Unterwürfigkeit fiel allmählich von ihm ab, sein Körper straffte sich. Er warf einen verstohlenen Blick über die Schulter auf das beladene Tier. Dann sprang er ohne Vorwarnung auf eine der Fensteröffnungen in der Wand zu.
»Wache! Wa …!«
Mit einer einzigen Bewegung schnellte der rechte Arm des Tery vor, packte Dennel an der Kehle und riß ihn hoch. Er schwenkte ihn im Bogen durch die Luft und zerschmetterte seinen Kopf an der Steinwand, wo er wie ein rohes Ei aufplatzte. Dann lockerte er seinen Griff und ließ den Körper auf die Stufen fallen; er hinterließ einen gräßlichen Fleck auf der Wand.
Rab erbleichte. »Mußtest du das tun?«
»Wenn sein Geschrei die Soldaten angelockt hätte, wären wir jetzt alle tot«, knurrte der Tery. »So ist nur er tot; wir sind am Leben und haben die Soldaten nicht auf dem Hals.« Er packte Adriel fester. »Wenn er schon unbedingt sterben will, soll er das gefälligst alleine tun.«
Rab seufzte. »Er hat nicht erwartet zu sterben. Ich fing ein Gedankenbruchstück von ihm auf, als er um Hilfe rief – er glaubte, sein Alarm würde ihm als Beweis seiner Loyalität angerechnet. Armer Dennel … er fürchtete sich vor den Wäldern, aber hier hätten sie ihn auch nicht leben lassen.«
Rab nahm eine Fackel aus der Wandhalterung und beleuchtete ihren Weg nach unten bis zur Küche. Die Küchenjungen waren noch nicht auf. Rab fand einen Stapel Brennholz für den Herd und stieß seine Fackel hinein. Nachdem er sich vergewissert hatte, daß das Holz Feuer fing, warf er einen Blick nach draußen.
Die Sterne verblaßten allmählich, und jenseits der Mauer begann der Himmel sich aufzuhellen. Es war die Stunde vor Anbruch der Morgendämmerung, wenn das Bewußtsein fast ganz erloschen ist, wenn es dem Wachenden am schwersten wird, die Augen offenzuhalten, und wenn der Schläfer im tiefsten Schlummer liegt.
Rab und der Tery huschten wie zwei Schemen über den Hof und standen dann abwartend im Schatten unter dem Wehrgang, der an der äußeren Befestigungsmauer entlanglief, jeder mit einer eigenen kostbaren Last. Sie brauchten nicht lange zu warten. Die ersten Rauchschwaden, die aus der Küche quollen, nahm niemand wahr, aber als die Flammen aus der Tür leckten und hoch aufloderten, schlug ein schlaftrunkener Wachposten Alarm.
Alle Hände waren beschäftigt, die Feuersbrunst zu ersticken. Männer bildeten eine Kette vom Brunnen zur Küche, und die Eimer wanderten von Hand zu Hand. Vorsichtig krochen Rab und der Tery die Stufen hoch, die zum Laufgang führten. Oben angekommen, warf Rab seine Bücher über die Mauerbrüstung und hielt dann Adriel, während der Tery auf der Außenseite der Mauer hinunterkletterte. Unten fing er erst Adriel auf, die Rab hinunterfallen ließ, dann Rab selbst.
»Jetzt lauf!« flüsterte Rab ihm zu. »Irgend jemand wird uns ganz gewiß entdecken, bevor wir unter den Bäumen sind, also lauf, als ob der Teufel hinter dir her wäre!«
Es war für den Tery nicht einfach, aufrecht zu gehen. Seiner Natur
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