LaNague 05 - Der Tery
machte einen Schritt auf sie zu, nur um einmal nachzusehen – da ergriff Kitru seine Chance. Mit einer schnellen Bewegung packte er sein auf dem Boden liegendes Schwert und rappelte sich auf. Der Tery wirbelte herum und fand sich vor einer scharfen, blitzenden Stahlklinge.
»Rab«, sagte Kitru mit gepreßtem Lächeln, »du bist nicht nur verrückt, du bist auch ein Dummkopf. Du hättest fliehen sollen, solange du die Gelegenheit dazu hattest. Ich werde dich, deinen verräterischen Freund und diese Bestie noch vor Morgengrauen bei lebendigem Leibe rösten lassen!«
Der Herrscher der Burg hatte jetzt alle Furcht verloren. Er wußte, daß er ein guter Fechter war, und er hatte es nur mit einem unbewaffneten Gelehrten, einem Feigling und einem Tier zu tun. Der genossene Wein trug dazu bei, seine Zuversicht zu verstärken.
»Wir gehen und nehmen das Mädchen mit«, sagte Rab kühl.
»Ach?«
»Ja. Dieser Bursche hier« – er wies auf den Tery – »ist ein Freund von ihr. Er wird sie zu ihren Leuten zurückbringen.«
Kitru lachte höhnisch auf. »Ein Freund? Rab, ich fürchte, du bist noch verrückter, als alle behaupten. Das ist ihr Schoßhündchen!«
»Ich bin ein Mensch!« sagte der Tery, und Kitru machte unwillkürlich einen Schritt zurück. Der Tery wußte nicht genau, warum er das gesagt hatte. Er konnte nicht behaupten, daß er sich selbst wirklich für einen Menschen hielt; der Ausruf war ihm gegen seinen Willen entschlüpft.
»Du bist kein Mensch!« höhnte Kitru, nachdem er sich von der Überraschung erholt hatte, das Geschöpf reden zu hören. »Du bist nichts als ein schmutziges Tier, das ein paar Worte nachäffen kann.«
»Wie eigenartig«, sagte Rab in aufreizendem Tonfall. »Genau dasselbe habe ich eben von dir gedacht.«
Kitru heulte in einem plötzlichen Wutanfall auf und holte zu einem Schlag auf die Kehle des Tery aus. Er hoffte, das Tier in einem Moment der Unachtsamkeit zu erwischen, um dann mit den anderen nach belieben verfahren zu können. Er machte einen heftigen Ausfall, doch der Tery sprang beiseite und ließ seine geballte Faust auf den Nacken des Burgherrn niedersausen. Kitru ging zu Boden, ohne einen Ton von sich zu geben; sein Kopf war in einem unnatürlichen Winkel verdreht.
Rab trat hinzu und stieß den regungslosen Körper mit seiner Zehe an. »Ich wünschte, du hättest das nicht getan. Ich hatte vor, ihn als Geisel für unseren freien Abzug zu benutzen.«
»Für uns wird es von nun an nirgends mehr einen sicheren Ort geben«, jammerte Dennel.
»Doch, wir können immer noch in den Wald zurückkehren«, sagte Rab zu ihm.
»In den Wald? Was soll ich denn da, im Wald zu leben ist die reine Hölle! Ich – ich bin nicht wie die anderen –, ich kann nicht wie ein Tier leben und mich abplagen, um etwas zu essen und ein Dach über dem Kopf zu haben. Die Wälder haben mir schon immer Angst eingeflößt. Ich fürchte mich jede Sekunde, die ich da draußen verbringen muß; ich bringe keinen Bissen runter und kann nicht schlafen.«
»Aber im Wald kannst du wenigstens noch wie ein freier Mann leben«, sagte Rab. »Hier bist du nichts als ein Werkzeug, und das auch nur so lange, wie man Verwendung für dich hat.«
»Nein – das verstehst du nicht.« Schweißtröpfchen standen perlend auf Dennels Oberlippe. »Ich kann mit ihnen verhandeln, kann sie dazu bringen, mich zu akzeptieren!«
Rab wandte sich ab. »Tu, was du willst.« Er deutete auf Kitrus leblosen Körper. »Glaubst du, sie werden auch das akzeptieren?«
Dennels Knie gaben nach, und er mußte sich am Türrahmen festhalten, um nicht hinzufallen. Ein gepreßtes Schluchzen drang aus seiner Kehle, und er sagte mit gebrochener Stimme: »Es muß einfach einen Ausweg geben!«
Der Tery hatte Kitru längst vergessen und kniete neben Adriel.
Das Mädchen starrte mit ausdruckslosen Augen, die nichts wahrnahmen, vor sich hin, schien aber nicht verletzt zu sein. Der Tery schob seinen Arm unter ihren Rücken, den anderen unter ihre Kniekehlen, um sie aufzuheben und preßte sie eng an sich. Sie atmete langsam und unregelmäßig wie im Schlaf. Nach einer langen Pause drehte er sich zu Rab.
»Wird sie wieder gesund?«
»Oh, ja, sie wird völlig in Ordnung kommen.« Rab war damit beschäftigt, die vier übriggebliebenen Bände in eine Wandbespannung einzuwickeln. Obwohl die ganze Weite des Raums zwischen ihnen lag, konnte der Tery etwas Seltsames, Fremdartiges spüren, das von diesen Büchern ausging. »Falls wir hier lebendig
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