Land der Mythen 01 - Unter dem Erlmond
gehört und in ihre hässlichen Schweinsgesichter geblickt. Und ich war dabei, als sie meinen Bruder töteten!«
Das Gelächter der Hofschranzen verlor sich, und schon wieder konnte Klaigon Furcht und Entsetzen in den Gesichtern seiner Gäste erkennen. Es war Zeit, die Sache zu beenden.
»Das genügt!«, rief er kurz entschlossen. »Mein getreuer Barand, sei so gut und lass diesen Verrückten aus dem Turm entfernen!«
»Mit Vergnügen, Hoheit.«
Barand von Falkenstein zog sein Schwert. Gleichzeitig rückten die Soldaten der Wache mit gesenkten Hellebarden gegen Alphart und Leffel Gilg vor.
Da öffnete dieser, einem jähen Geistesblitz folgend, die Verschnürung des Rupfensacks und schaute hinein.
Und stieß einen schrillen Schrei aus, als er sah, was sich darin befand!
Auch Alphart warf einen Blick in den offenen Sack. Anstatt sich jedoch zu erschrecken, griff der Jäger beherzt hinein, packte zu, zog etwas heraus und schleuderte es quer durch den Saal, direkt auf Klaigons Tafel.
Unmittelbar vor dem Regenten blieb das grässliche Ding liegen und starrte ihn aus leblosen schwarzen Augen an: der Erlschädel, den der Bauer Segges von dem Flüchtling erhalten hatte.
Da gab es im Saal kein Halten mehr. Entsetztes Geschrei brach unter den Edelleuten aus. Nicht wenige der hohen Damen fielen in Ohnmacht, während die Ritter und Fürsten aufsprangen und nach ihren Schwertern griffen, obwohl gerade von diesem Erl ganz sicher keine Gefahr mehr drohte.
Auch Klaigon war blass geworden. Mit ungläubig geweiteten Augen starrte er auf das grausige Haupt.
»Nun, Herr?«, erkundigte sich Alphart ungerührt. »Wie steht es? Hältst du mich immer noch für einen Scherzbold?«
Der Fürstregent schäumte vor Wut. Was auch immer er sagen würde, wie er es auch drehen und wenden mochte – damit, den Jäger dreister Lüge zu bezichtigen und ihn hinauswerfen zu lassen, war es nun nicht mehr getan. Furcht und Schrecken hatte die Menschen im Saal ergriffen, selbst in den Zügen des wackeren Barand war blankes Entsetzen zu lesen.
Klaigon war lange genug an der Macht, um zu wissen, wann er einlenken musste, um sich diese Macht zu erhalten.
Er musste handeln. So sehr es ihm missfiel – ein hergelaufener Wildfänger aus den Bergen zwang ihn dazu.
»Haltet ein, meine Freunde!«, rief er deshalb laut und hob beschwichtigend die Hände. Aller Blicke richteten sich auf ihn, und tatsächlich beruhigten sich die hohen Herrschaften ein wenig, als sie sahen, dass ihr Oberhaupt einen kühlen Kopf bewahrte. »Ich gebe zu, dass dieser Jägersmann uns einen unwiderlegbaren Beweis geliefert hat – allerdings einen Beweis, dessen wir nicht bedurften. Denn wer von uns wusste nicht, dass sich in den dunklen Klüften von Dorgaskol üble Kreaturen herumtreiben?«
»Entschuldige«, unterbrach ihn Alphart schroff, »aber hast du nicht eben noch behauptet, es würden keine Erle existieren? Dass es sie nur in alten Geschichten gäbe?«
Klaigon rang sich ein verlegenes Grinsen ab, während er zu seinem Ärgernis bemerkte, das einige Edelleute beifällig nickten. »Als Fürstregent von Iónador«, sagte er laut, »ist es meine Pflicht, auf das Wohlergehen meines Volkes zu achten und dafür zu sorgen, dass es nicht grundlos in Aufregung oder gar Panik versetzt wird.«
»Grundlos? Das nennst du grundlos?«, beschwerte sich der Jäger. »Seit Menschengedenken haben sich die Erle nicht so weit vorgewagt. Jetzt greifen sie uns offen an. Sie haben meinen Bruder umgebracht!«
»Nimm mein Bedauern dafür, werter Jägersmann. Aber wer kann sagen, ob sich dein Bruder nicht leichtfertig in Gefahr begeben hat? Wie jeder weiß, sind die Klüfte von Düsterfels verbotenes Land. Ein rechtschaffener Bürger hält sich daran und bleibt diesseits des Gebirges – die Wildfänger jedoch kümmern sich nicht um die Gesetze. Wie weit bist du nach Dorgaskol vorgedrungen, Alphart, ehe du auf Erle trafst?«
»Es gibt Gebote, Herr, die auch die Wildfänger beherzigen, und ich schwöre dir, dass weder mein Bruder noch ich selbst die alte Weisung missachtet und die dunklen Schluchten betreten haben. Etwas hat die Erle aus ihren Löchern getrieben. Sie sind wieder da – und sie dürsten nach Blut!«
Wieder regte sich unruhiges Gemurmel, furchtsame Blicke wurden getauscht. Klaigon sah ein, dass er so nicht weiterkam, und änderte die Taktik, um die Situation wieder in den Griff zu kriegen. »Schön«, meinte er, »nehmen wir an, du sprichst die Wahrheit, Wildfänger. Was
Weitere Kostenlose Bücher