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Land der Mythen 01 - Unter dem Erlmond

Land der Mythen 01 - Unter dem Erlmond

Titel: Land der Mythen 01 - Unter dem Erlmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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Zeichen der Sylfen.
    Es wurde völlig still im Saal, und selbst Leffel und Alphart schauten den Seher gebannt an – der Gilg, weil er noch nie zuvor einem Wahrsager bei der Arbeit zugeschaut hatte, und Alphart, weil er die Abneigung seiner Zunft gegen alles Übernatürliche teilte.
    Man hörte Eolac leise vor sich hinmurmeln, unverständliche Worte in der Sprache Ventars, die kaum noch jemand beherrschte und von der nur die Namen der Berge geblieben waren. Er bückte sich und ließ seine hohlen Hände, in denen er die Runenknochen hielt, mehrmals über dem steinernen Boden kreisen. Dann, unvermittelt, öffnete er sie und ließ die Knochen fallen – und aus dem Bild, das sich ergab, begann der Seher die Zukunft zu lesen.
    Während aller Augen gespannt, fast ängstlich auf Eolac gerichtet waren, ließ Alphart ein verächtliches Schnauben hören. Für ihn stand fest, dass der Seher nur Unfug trieb und nichts weiter war als ein Werkzeug des Regenten, dessen sich dieser bediente, damit die Menschen an das glaubten und taten, was er wollte.
    Umso überraschter war der Jäger, als sich Eolacs Gesicht sorgenvoll zerfurchte und er mit warnender Stimme sagte: »Der Fremde aus den Bergen spricht wahr, edler Fürstregent! Unheil braut sich in den Bergen zusammen. Verderben aus alter Zeit. Grauen, das keinen Namen kennt.«
    »Was?« Ungläubig beugte sich Klaigon vor. Ihm war anzusehen, dass er mit einer solchen Auskunft nicht gerechnet hatte. Nach den Worten des Sehers breitete sich erst recht Unruhe im Saal aus. Erneut wurden ängstliche Blicke getauscht, und die hohen Herren und Damen tuschelten aufgeregt miteinander.
    »Es ist wahr, o Fürstregent«, bekräftigte der Seher. »Die Runen lügen nicht. Und sie besagen, dass unserem Land Unheil bevorsteht. Die frühe Kälte ist der Grund dafür. Sie treibt die dunklen Kreaturen aus den Abgründen, in die sie einst gestoßen wurden. Schon kommen sie herab in die Täler – Erle und Eisriesen, Todfeinde aus alter Zeit.«
    »Nein!«, schrie Klaigon trotzig, während blankes Entsetzen im Saal um sich griff. »Du musst dich irren, alter Narr!« Dann wandte er sich den Edelleuten zu. »Die Mauern Iónadors sind stark und mächtig. Uns droht keine Gefahr!«
    »Ich spreche nur laut aus, was die Runen sagen«, verteidigte sich der Seher, »und die Runen haben mir Unheil verkündet. Wenn Ihr ihren Rat nicht wollt, dürft Ihr sie nicht fragen, Herr.«
    Klaigon knurrte wie ein Wolf, aus seinen Augen zuckten unsichtbare Blitze. Es war unklar, was ihn mehr in Wut versetzte – dass die Runen plötzlich ein höchst unwillkommenes Eigenleben entwickelt hatten oder dass der Mann, dessen Dreistigkeit all dies bewirkt hatte, auch noch unverschämt grinste.
    »Wie nun, Alphart Wildfänger?«, rief Klaigon ihm zu. »Bist zu zufrieden mit dem, was du angerichtet hast? Es ist dir gelungen, meinen gesamten Hofstaat zu verängstigen. Die Seuche der Furcht greift um sich und wird schon bald jeden in der Stadt gepackt haben. Hast du erreicht, was du wolltest?«
    »Das war nicht meine Absicht«, entgegnete der Jäger mit fester Stimme. »Ich für meinen Teil glaube nicht an Runen und Weissagungen. Aber da du es offenbar tust, solltest du auf deinen Seher hören.«
    »Das werde ich«, versicherte Klaigon und schnaubte zornig. »Was rätst du mir, Eolac Allwissend? Was können wir tun, um der angeblichen Bedrohung aus den Bergen zu begegnen?«
    »Nicht der angeblichen«, sagte der Seher, dessen Blick noch immer in weite Ferne gerichtet schien. »Die Bedrohung ist wirklich, Herr, und sie ist näher, als Ihr denkt. Schnell wie der Wind breitet sie sich aus, ein Sturm steht bevor.«
    »Und?«, fragte Klaigon, dem die Kontrolle entglitten war – einige seiner Edelleute standen kurz davor, in heillose Panik zu verfallen. »Hast du uns noch mehr zu bieten als unheilvolle Weissagungen? Kannst du uns auch einen Rat geben, Seher, wie es deine Pflicht wäre?«
    »Nein, Herr«, gestand Eolac kopfschüttelnd. »Meine Magie ist nur von bescheidner Natur und beschränkt sich darauf, die Runen zu lesen. Um einer Gefahr wie dieser zu begegnen, sind die Dienste eines Mannes vonnöten, der die Vergangenheit kennt und in ihren Geheimnissen bewandert ist. Ihr braucht einen Druiden.«
    »Einen Druiden?«
    Dieses Wort versetzte die Anwesenden nur noch mehr in Unruhe. Während es kaum noch Druiden gab, waren die Geschichten über sie umso zahlreicher. Den einen galten sie als Gelehrte, die das Wissen der alten Zeit bewahrten.

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