Land der Mythen 01 - Unter dem Erlmond
Schritte der Gefährten knirschten im harsch gefrorenen Schnee, während sie vorsichtig durch die Nacht schlichen, dabei jeden Fels und jeden Baum als Deckung nutzend. Leffel hatte zu wimmern aufgehört, aber sein Gesichtsausdruck verriet, dass es in diesen Augenblicken tausend Orte gab, an denen er sich lieber aufgehalten hätte. Wahrscheinlich, dachte Alphart spöttisch, bereute er seinen Beschluss vom Abend bereits…
Die schrecklichen Schreie wurden lauter, je weiter die drei Gefährten nach unten schlichen, und schließlich konnten sie zwischen den Bäumen matten, orangefarbenen Schein erkennen.
Ein Lagerfeuer…
»Vorsicht jetzt!«, raunte Yvolar seinen Begleitern zu, und Alphart hob seinen Bogen.
Auf leisen Sohlen gingen sie weiter, darum bemüht, kein unnötiges Geräusch zu verursachen. Es war empfindlich kalt in dieser Höhe, aber die Hitze des Augenblicks vertrieb selbst den Frost. Die Gefährten wollten wissen, was der Ursprung der grässlichen Laute war; sogar der Gilg war erpicht darauf, obwohl er am liebsten davongerannt wäre.
Alphart, der es von Kindesbeinen an gelernt hatte, sich lautlos anzuschleichen, übernahm die Führung. Er steckte den Pfeil zurück in den Köcher und ließ sich auf alle viere hinab. Dann kroch er den anderen voraus auf den Feuerschein zu. Er gelangte zu einer Abbruchkante. Jenseits davon fiel der Fels fast senkrecht in die Tiefe und formte etwas, das die Oberländer als Hexenloch bezeichneten: ein Trichter aus schroffem Fels, dessen Grund kaum je ein Sonnenstrahl erreichte. Ein Wasserfall stürzte von der gegenüberliegenden Seite nach unten, dessen Rauschen jedoch von den Schreien und vom Trommelklang übertönt wurde.
Am Grund des kreisförmigen Trichters, wo das Wasser in einen tiefschwarzen Gumpen stürzte, herrschte nacktes Grauen.
Bäume waren gefällt und ein Scheiterhaufen errichtet worden, der lichterloh brannte und sowohl den Grund des Hexenlochs als auch die Felswände mit Feuerschein beleuchtete. Aus der Mitte der Flammen ragte ein eiserner Spieß empor, auf dem ein gehörnter Schädel steckte – das Haupt einer Kuh. Rings um das Feuer war der felsige Boden glitschig von Blut. Fleischfetzen und abgenagte Knochen lagen überall umher. Um das Feuer herum jedoch tanzten und sprangen bizarre zweibeinige Gestalten, die rostige Rüstungen trugen und schartige Schwerter und Äxte schwangen. Trunken vom Blut, das sie gesoffen hatten und mit dem ihre Schweinsgesichter besudelt waren, stießen sie wilde Schreie aus.
»Erle!«, stieß Yvolar voller Abscheu hervor, der neben Alphart angelangt war. Hätte es noch eines endgültigen Beweises für die Anwesenheit der Unholde diesseits des Bergwalls bedurft – jetzt hatten sie ihn.
Die Gefährten reagierten unterschiedlich. Während sich Leffel ängstlich an den Boden klammerte und sich einmal mehr weit fort wünschte, schob sich Alphart noch ein Stück weiter vor, um alles genau sehen zu können. Hasserfüllt blickte er auf die Kreaturen, die dort unten ihr frevlerisches Fest hielten, während das Feuer ihre bizarren Schatten auf die umliegenden Felswände warf. Die Züge des Wildfängers versteinerten.
Erinnerungen überkamen ihn, an seinen Bruder Bannhart und an jene Nacht, die alles verändert hatte. Rachedurst ergriff von ihm Besitz, und am liebsten hätte er wieder einen seiner Pfeile aus dem Köcher gezogen und von der Sehne gelassen, um wenigstens eine dieser grässlichen Kreaturen auf der Stelle ins Jenseits zu befördern. Yvolar, der den Drang des Wildfängers spürte, legte ihm beschwichtigend die Hand auf die Schulter.
»Noch nicht, mein Freund«, raunte er ihm zu. »Die Zeit deiner Rache wird kommen, aber noch ist es nicht so weit.«
»Wie kommt es, dass sie hier sind?«, flüsterte Alphart. »Wie konnten sie ungesehen die Wachtürme passieren?«
»Ungesehen«, erwiderte Yvolar düster, »oder unbehelligt. Ich ahne Schlimmes, mein wackerer Jägersmann. Ich ahne Schlimmes.«
Damit zog er sich lautlos zurück. Leffel folgte ihm kriechend, während Alphart noch blieb, um einen letzten Blick auf das schaurige Spektakel zu werfen. Er sah, wie einer der Erle etwas über dem Kopf schwenkte, das aussah wie…
Entsetzt prallte Alphart zurück, als er erkannte, dass es sich um das Bein eines Menschen handelte – vielleicht um jenes Bein, das dem toten Alphirten gefehlt hatte. Das also war das Geheimnis, das der Druide ihnen nicht hatte offenbaren wollen.
Die Erle fraßen Menschenfleisch!
Der
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